Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



02. Mai 2024, von Michael Schöfer
Patriarchen merken es nicht selten als Letzte


Fußball ist mitunter sehr unterhaltsam - und das beileibe nicht nur auf dem Platz, sondern oft genug auch daneben. Und der erfolgreichste deutsche Proficlub, der FC Bayern München, ist sowieso immer gut für ein höchst amüsantes Schauspiel. Patriarchen, besonders wenn sie auf zahlreiche Erfolge zurückblicken können, neigen dazu, einfach nicht loslassen zu können. Oft glauben sie, es tatsächlich besser zu wissen als alle Nachgeborenen und geben ihr Urteil auch noch lautstark kund. Beim FC Bayern spielt Uli Hoeneß diese Rolle par excellence, er ist geradezu die Verkörperung des berühmt-berüchtigten Slogans "Mia san mia".

Wir erinnern uns: Julian Nagelsmann wurde im März 2023 nach dem 25. Spieltag der Bundesliga-Saison 2022/2023 entlassen und überraschend durch Thomas Tuchel ersetzt. Doch auch unter ihm lief es nicht besonders gut. Am Ende der Saison wurden die Bayern mit ihrem sprichwörtlichen Dusel aber trotzdem erneut Meister (Siegtor durch Jamal Musiala in der 89. Minute des letzten Spieltags und gleichzeitiges Versagen des Meisterschaftskonkurrenten bei dessen Heimspiel gegen den Tabellenneunten). Allerdings muss auch Tuchel vorzeitig gehen und wird den Verein nach Ende der aktuellen Saison verlassen, sein Vertrag wäre eigentlich noch bis 2025 gelaufen.

Seitdem das feststeht, sucht der FC Bayern händeringend einen neuen Trainer. Der Leverkusener Meistertrainer Xabi Alonso fühlt sich dort seinen Aussagen zufolge sehr wohl und hat offenbar keine Lust, nach München zu wechseln. Und das dürfte nicht an abweichenden Vorstellungen über das Trainergehalt liegen. Kurioserweise wurde daraufhin der seinerzeit geschasste Julian Nagelsmann, mittlerweile Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft, ins Spiel gebracht. Doch Nagelsmann zeigte ebenfalls wenig Neigung, seinen derzeitigen Posten zu verlassen. Und jetzt hat auch noch der Dritte auf der Wunschliste, Österreichs erfolgreicher Nationaltrainer Ralf Rangnick, dem FC Bayern einen Korb gegeben. Wie es in München weitergeht und wer die Mannschaft in der nächsten Saison trainieren wird, steht deshalb in den Sternen. (Der 79-jährige Jupp Heynckes wird wohl nur für realitätsfremde Nostalgiker infrage kommen.)

Von außen betrachtet macht das Betriebsklima des FC Bayern, vorsichtig formuliert, nicht den allerbesten Eindruck. Wenn der Patriarch es für geboten hält, den ohnehin scheidenden Trainer seiner Mannschaft vor dem wichtigen Halbfinal-Hinspiel der Champions League gegen Real Madrid öffentlich in den Senkel zu stellen (Tuchel würde lieber neue Spieler kaufen, als junge Fußballer besser zu machen) [1], kann man das Ganze nur noch mit einem fassungslosen Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Mag sein, dass Uli Hoeneß fachlich sogar recht hat (um das zu beurteilen habe ich zu wenig Ahnung vom Fußball), aber muss diese Kritik wirklich zu diesem ungünstigen Zeitpunkt und obendrein auch noch öffentlich erfolgen? Da sind Zweifel mehr als berechtigt. Wenn man das Trainer-Chaos beim FC Bayern München einmal Revue passieren lässt, verwundert es kaum, dass andernorts erfolgreiche Trainer keine Lust verspüren, sich auf diesen Schleudersitz zu setzen.

Patriarchen sollten merken, wenn ihre Zeit abgelaufen ist. Sie sollten den Jüngeren das Heft in die Hand geben, Einmischungen und Kommentare am besten ganz sein lassen. Zurückhaltung üben - auch wenn es dann mal anders läuft, als sie es lange Zeit gewohnt waren. Wobei das zugegebenermaßen dem Charakter von Patriarchen diametral widerspricht. Patriarchen wurden zu Patriarchen, weil sie sich patriarchalisch verhalten haben: alles dominierend, alles kontrollierend, alles besser wissend. Patriarchen haben zwar oft großen Anteil an berauschenden Erfolgen, sind aber wegen ihrer Sturheit auch genauso oft verantwortlich für den anschließenden Niedergang. Die Zeiten ändern sich, aber Patriarchen merken es nicht selten als Letzte.

----------

[1] FAZ vom 29.04.2024