Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



03. Juni 2024, von Michael Schöfer
Markus Söder ist wahrlich ein Meister seines Fachs


Aktien sind bekanntlich "volatil", das bedeutet Wiktionary zufolge "sehr beweglich, schwankend, unstetig". Wäre der bayerische Ministerpräsident Markus Söder eine Aktie, würde man ihm ebenfalls Volatilität nachsagen. Zu Recht.

Als 2011 in Japan der Atomreaktor Fukushima explodierte, drohte der damalige Umweltminister der Atomkraftpartei CSU sogar mit seinem Rücktritt, "sollte sich Bayern auf einen späteren Zeitpunkt für den Atomausstieg als 2022 festlegen". [1] Ist doch erstaunlich, welchen Sinneswandel eine Kernschmelze bewirken kann. Allerdings bloß vorübergehend. Ende 2023 forderte Söder nämlich, und bei ihm muss man in diesem Fall "wenig überraschend" hinzufügen, den massiven Ausbau der Kernenergie. [2] Heute so, morgen so. Wie er es gerade braucht.

Jahrelang kämpfte Markus Söder an der Seite von Horst Seehofer gegen Windkraftanlagen und "Monstertrassen". [3] 2024 beklagte er sich dann nichtsdestotrotz über fehlende Stromtrassen, plötzlich konnte es ihm damit nicht schnell genug gehen. [4] Schuld war natürlich - wie immer - die Ampelregierung in Berlin. Wer sonst?

So ist das bei vielen Themen. "2007 als CSU-Generalsekretär hatte sich Söder im 'Spiegel' noch für ein Verbrenner-Verbot ab dem Jahr 2020 in Deutschland ausgesprochen ('Grüne Motoren schaffen neue Arbeitsplätze')." Heute poltert er: "Das Verbrenner-Aus für 2035 ist falsch und muss deshalb zurückgenommen werden." [5] Es bestätigt sich immer wieder aufs Neue: Der Charakter eines Menschen ändert sich selten grundlegend.

Doch nun schlagen mehr und mehr die seit langem vorhergesagten Folgen des Klimawandels zu, aktuell gibt es in Bayern mal wieder ein Jahrhundert-Hochwasser, die kommen mittlerweile alle paar Jahre vor. [6] Klimawandel? Stimmt, da war doch was… Deshalb ist es natürlich klug, eine Pflichtversicherung für Elementarschäden zu fordern. Würde zumindest jeder weitsichtige Politiker machen. Und Markus Söder will seinem Naturell entsprechend stets klug und weitsichtig erscheinen. Wenn ihm da bloß nicht seine notorische Unstetigkeit im Weg stünde.

Eine Pflichtversicherung für Elementarschäden wurde nämlich schon gefordert, als es 2016 in Bayern ebenfalls zu schweren Überschwemmungen kam. Nur eben nicht von Söder, der damals bayerischer Finanzminister war. Freiwilligkeit sollte die Richtschnur sein. So viel Ideologie muss sein. Die Bayerische Staatsregierung "appellierte" lediglich "an Privatpersonen und Unternehmen, sich umfassend gegen Schäden aus Naturgefahren abzusichern". [7] Wobei, ganz unter uns gesagt, mit der Freiwilligkeit hat man eigentlich noch nie gute Erfahrungen gemacht. Vor allem, wenn sie Geld kostet. Und das ist nicht nur im Freistaat so.

Wie dem auch sei, 2017 unterzeichneten jedenfalls die bayerische Staatsregierung, die bayerischen kommunalen Spitzenverbände sowie etliche Verbände und Unternehmen eine gemeinsame Erklärung. Auszug: "Vielfach wurde nach den Ereignissen im Jahr 2016 die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschadenereignisse gefordert. Dies lehnt die Bayerische Staatsregierung ab. Die Lösung kann nicht in staatlichem Zwang liegen, sondern nur in einem marktwirtschaftlichen Ansatz. Information und Eigenverantwortung, nicht Zwang, sind Maßstäbe der Politik der Bayerischen Staatsregierung." [8] Mitunterzeichnet von Dr. Markus Söder, Minister, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat.

Angesichts des erneuten Jahrhundert-Hochwassers will er jedoch Tatkraft vortäuschen: "Weil auch in Zukunft häufiger mit derartigen Ereignissen zu rechnen sei, forderte Markus Söder eine Pflichtversicherung für Elementarschäden, die auch alle Menschen abschließen können sollten. (…) Bereits in der kommenden Ministerpräsidentenkonferenz müsse dieser Punkt auf die Tagesordnung." [9] Man höre und staune: Weil auch in Zukunft häufiger mit derartigen Ereignissen zu rechnen sei… Surprise! Surprise! Die jahrzehntelange Diskussion um die Klimakatastrophe ist anscheinend spurlos an ihm vorübergegangen, denn das wurde schon vor dreißig Jahren prophezeit:

"Wärmere Temperaturen werden zu einem stärkeren Wasserkreislauf führen; dies bedeutet, dass es an einigen Orten zu schwereren Dürren und/oder Überschwemmungen und an anderen Orten zu weniger schweren Dürren und/oder Überschwemmungen kommen kann. Mehrere Modelle deuten auf eine Zunahme der Niederschlagsintensität hin, was die Möglichkeit extremerer Niederschlagsereignisse nahelegt. (…) Stärkere Niederschläge würden tendenziell den Abfluss und das Überschwemmungsrisiko erhöhen, obwohl dies nicht nur von der Veränderung der Niederschlagsmenge, sondern auch von den physikalischen und biologischen Eigenschaften des Einzugsgebiets abhängt." [10] Aber das grüne Weltbild passt ja nicht zu Bayern. [11] Zumindest laut Söder, der zu jener Zeit Landesvorsitzender der Jungen Union Bayern und bereits mit 27 Jahren Mitglied des Landtags war. Aber Klimaberichte haben ihn da wohl weniger interessiert.

Als Konrad Adenauer (CDU) 1950 in einer Fraktionssitzung vorgeworfen wurde, seine Äußerung zur Wiederbewaffnung Deutschlands würde von der des Vorjahres abweichen, antwortete er spöttisch: "Aber meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden." [12] Stimmt absolut. Und wie wir sehen, wird offenbar auch Markus Söder jeden Tag ein bisschen klüger. Erstaunlicherweise kann man es mit einem konsequenten Zickzackkurs in der Politik nach ganz oben schaffen. Manche behaupten sogar, das sei die Grundvoraussetzung, um es in der Politik nach ganz oben zu schaffen. Und Chapeau! Was das angeht ist Markus Söder wahrlich ein Meister seines Fachs.

----------

[1] Süddeutsche vom 26.05.2011
[2] RND vom 08.12.2023
[3] Spiegel-Online vom 22.04.2015
[4] Süddeutsche vom 14.03.2024
[5] Wirtschaftswoche vom 20.04.2024
[6] Frankfurter Rundschau vom 03.06.2024
[8] Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, Seite 5, PDF-Datei mit 2,6 MB, Hervorhebung von mir
[9] Augsburger Allgemeine vom 02.06.2024
[10] IPCC, Zweiter Sachstandsbericht 1995, Synthesebericht, Seite 6 und Seite 32, PDF-Datei mit 611 KB, übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)
engl. "Warmer temperatures will lead to a more vigorous hydrological cycle; this translates into prospects for more severe droughts and/or floods in some places and less severe droughts and/or floods in other places. Several models indicate an increase in precipitation intensity, suggesting a possibility for more extreme rainfall events. (…) More intense rainfall would tend to increase runoff and the risk of flooding, although this would depend not only on the change in rainfall but also on catchment physical and biological characteristics."
[11] CSU vom 04.09.2023
[12] Wikiquote, Konrad Adenauer