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05. Juni 2024, von Michael Schöfer
Abstandsgebot keinesfalls aufweichen


Wir wollen es doch nicht gleich übertreiben. Oder vielleicht doch? Eine "Denkfabrik" (neudeutsch: Think-Tank) hat jetzt die Erhöhung des Mindestlohns auf 16 Euro vorgeschlagen, davon würde ein Viertel der Beschäftigten profitieren. Sind die vollkommen übergeschnappt? Dass diese "Denkfabrik" nicht denken kann, ist ja offensichtlich.

Deutschland hat sich, Putin-Freund Gerhard Schröder sei Dank, auf der Rangliste der Länder mit dem größten Niedriglohnsektor mühsam nach oben gearbeitet und steht momentan in der EU zwischen Bulgarien und Rumänien schon auf Platz sechs. Soll diese Beharrlichkeit etwa umsonst gewesen sein? Wenn ein Viertel der Beschäftigten von der Erhöhung auf 16 Euro profitiert, stehen uns gravierende wirtschaftliche Verwerfungen ins Haus. Unter Umständen bleibt den Mindestlohnbeziehern nach der Überweisung der Miete am Monatsende sogar noch ein bisschen Geld übrig, das sie aber bestimmt für so fragwürdige Dinge wie beispielsweise ein Netflix-Abo vergeuden. Von den in dieser Einkommensklasse üblichen Ausgaben für Zigaretten und Alkoholika ganz zu schweigen. Unerhört!

Was sollen da unsere gebeutelten Dollar-Millionäre denken? Dem "World Wealth Report" zufolge ist deren Vermögen (6,28 Billionen) in Deutschland zuletzt unterdurchschnittlich gestiegen - lediglich um 2,2 Prozent im Jahr 2023. UNTERDURCHSCHNITTLICH! Das ist weniger als die Inflation. Deutschland steht, was die Anzahl der High-net-worth individuals angeht, nicht ohne Grund auf einem ziemlich blamablen dritten Platz. Wenn man es genau nimmt, sind unsere Millionäre also ärmer geworden. Warum sollen dann ausgerechnet die Mindestlohnbezieher reicher werden? Das bringt doch das ganze Gefüge durcheinander. Ich sehe jedenfalls schwarz, sollte das ökonomisch wahnwitzige Ansinnen der "Denkfabrik" tatsächlich durchgehen.

Wissen Mindestlohnbezieher überhaupt, wie schwer es ist, ein Vermögen von insgesamt 6.280.000.000.000 Dollar zu verwalten? Natürlich nicht, woher auch? Und die "Denkfabrik" ohne Zweifel ebenso wenig. Die Mitglieder im Club der Dollar-Millionäre haben es echt schwer. Wer obendrein das Pech hatte, in eine Millionärs-Dynastie hineingeboren zu werden, durfte sich seinen Wohlstand noch nicht einmal selbst erarbeiten. Keiner kann nachempfinden wie das ist, wenn man auf einer Cocktail-Party kleinlaut eingestehen muss, dass einem alles ohne eigenes Zutun in den Schoß gefallen ist. Lassen Sie es sich gesagt sein: In solch peinlichen Situationen ist das höhnische Lächeln der Selfmade-Millionäre absolut unerträglich! Ach, alles bloß ererbt? Ja, leider. Welch furchtbare Schmach! Da tröstet es dann auch nicht, wenn der faktische Millionärs-Steuersatz mithilfe des Werkzeugkastens der Vermögensberater niedriger ausfällt als bei einer Krankenschwester oder Erzieherin. Schließlich muss man von irgendwas leben.

Angesichts dessen ist doch sonnenklar: Das Millionärs/Niedriglöhner-Abstandsgebot darf keinesfalls aufgeweicht werden. Wenn die 1,646 Millionen Millionäre weiterhin brav FDP oder CDU wählen, wird das bestimmt auch klappen. Respekt vor Leistung und Eigentum sind in der Defensive, beklagt Christian Lindner. Und wo er recht hat, hat er eben recht. Zum Glück huldigt auch die CDU dem Leistungsprinzip. "Wohlstand ohne Leistung ist eine Illusion", heißt es dort. Okay, zugegeben, von den Erben riesiger Vermögen einmal abgesehen. Darauf noch einen Cocktail?