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| Impressum 10. Juni 2024, von Michael Schöfer Ob die Forderung nach Neuwahlen wirklich klug ist? CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte noch am Wahlabend der Europawahl Neuwahlen in Deutschland. Auch CSU-Chef Markus Söder will möglichst schnell vorgezogene Wahlen zum Deutschen Bundestag und bezog sich dabei ausdrücklich auf die Auflösung der französischen Nationalversammlung durch Emmanuel Macron. In Ordnung, spielen wir die Sache einfach mal durch. Nehmen wir an, Bundeskanzler Olaf Scholz stellt gemäß Artikel 68 GG die Vertrauensfrage und bekommt keine Mehrheit, Bundespräsident Steinmeier gibt sich ebenfalls geschlagen und löst den Bundestag auf. Es kommt also tatsächlich zu Neuwahlen. Nehmen wir weiter an, dass die Bundestagswahl dann auf der Grundlage des derzeit gültigen Wahlrechts stattfindet (das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hierzu steht ja noch aus). Obwohl natürlich jede Wahl unter anderen Vorzeichen stattfindet und somit einer eigenen Logik folgt, unterstellen wir der Einfachheit halber, dass die Bundestagswahl genauso ausgehen würde wie die Europawahl 2024. Bei der Zweitstimme exakt das gleiche Stimmergebnis. Selbstverständlich mit dem keineswegs irrelevanten Unterschied, dass dann wieder die Sperrklausel gilt. Folgende Parteien würden den Einzug schaffen: ![]() Der neu zu wählende Bundeskanzler braucht gemäß Artikel 63 GG im ersten und zweiten Wahlgang die sogenannte Kanzlermehrheit (Mehrheit der Mitglieder des Bundestages). Im dritten Wahlgang könnte die einfache Mehrheit genügen. Natürlich braucht auch die Regierungskoalition eine Mehrheit, sofern sie keine Minderheitsregierung bildet, die sich dann aber im Bundestag für Gesetze in jedem Einzelfall eine Mehrheit suchen muss. Haushaltsbeschlüsse dito. Wenn der nächste Bundestag tatsächlich 630 Mitglieder hat, braucht man dort für die Kanzlermehrheit 316 Stimmen. Das wird allerdings auf der Grundlage des Europawahlergebnisses nicht einfach:
Ob es so gesehen klug ist, gerade jetzt Neuwahlen zu fordern, wage ich zu bezweifeln. Aber den Bundeskanzler kann sowieso niemand zwingen, die Vertrauensfrage zu stellen, Olaf Scholz kann gegen seinen Willen bloß durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt werden (vgl. Artikel 67 GG). Und dafür würde es für die derzeitige Opposition nicht einmal reichen, wenn sich - rein hypothetisch - Union und AfD zusammentun. Friedrich Merz und Markus Söder träumen wohl insgeheim von einem Erdrutschsieg. Träumen darf man, doch nicht alle Träume gehen in Erfüllung. Immerhin hat die Union bei der Europawahl trotz idealer Rahmenbedingungen nur vergleichsweise mäßig (+1,1 %) zugelegt. Neuwahlen können auch furchtbar in die Hose gehen. ----------
[1] Berechnung nach d'Hondt, Online-Rechner von Arndt Brünner
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