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13. Juni 2024, von Michael Schöfer
Lieferkettengesetz soll Ausbeutung bekämpfen


Es ist unglaublich: Während der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) mit abstrusen, völlig an den Haaren herbeigezogenen Beispielen gegen das Lieferkettengesetz polemisiert und sich damit selbst in ein schlechtes Licht rückt [1], belegt ein Fall aus Italien, wie notwendig solche Gesetze sind.

Bernard Arnault gilt als der reichste Mensch der Welt, sein Vermögen wird auf schwindelerregende 233 Mrd. US-Dollar geschätzt. Zu seinem Portfolio gehört der Luxusgüter-Konzern LVMH Moet Hennessy Louis Vuitton, der Marken wie Louis Vuitton, Moët & Chandon, Hennessy, Bulgari, Givenchy, Kenzo, Dior, Fendi, Benefit, TAG Heuer oder Dom Perignon besitzt. Was man sich halt üblicherweise so gönnt, falls man über das dafür notwendige Kleingeld verfügt. Womit man sich eben schmückt, wenn man als etwas Besseres gelten will. Die Welt der Luxusmarken weiß die menschlichen Schwächen nahezu perfekt für sich auszunutzen, denn die gesellschaftliche Rangordnung folgt seit Jahrtausenden der bewährten Richtschnur: "Haste was, dann biste was!" Funktioniert prächtig, wie man am sagenhaften Reichtum Arnaults erkennt.

Wie mehrere Medien übereinstimmend berichteten, wurde jetzt in Italien ein Ableger von LVMH unter gerichtliche Verwaltung gestellt. Manufactures Dior wird vorgeworfen, "Aufträge an chinesische Firmen vergeben zu haben, die ihre Arbeiter ausbeuteten. (…) Die Arbeiter seien gezwungen worden, am Arbeitsplatz zu schlafen, um '24 Stunden am Tag als Arbeitskräfte zur Verfügung zu stehen.' Das Personal habe 'unter hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen gelebt und gearbeitet, die unter dem für einen ethischen Ansatz erforderlichen Minimum liegen'. (…) Darüber hinaus seien Sicherheitsvorrichtungen von den Maschinen entfernt worden, um einen schnelleren Betrieb zu ermöglichen." [2] Und das Ganze fand nicht einmal im fernen China statt, sondern in der Umgebung von Mailand.

Für die Produktion einer bestimmten Handtasche soll Dior lediglich 53 Euro gezahlt haben, in den Geschäften sei diese jedoch für 2.600 Euro verkauft worden. Eine phänomenale Handelsspanne. Jetzt ahnen wir zumindest, wie man zum reichsten Mensch der Welt werden kann. Das wird die Influencer, die solche Luxusgüter anpreisen, vermutlich kaum stören. Und diejenigen, die Luxus-Handtaschen kaufen, wahrscheinlich ebenso wenig. Sollte es aber, denn derartige Produktionsverhältnisse sind neben ökonomischen Aspekten (faire Wettbewerbsbedingungen) auch eine Frage der Menschenrechte. Und um marktverzerrende und menschenrechtswidrige Produktionsverhältnisse möglichst zu verhindert, gibt es - genau: das Lieferkettengesetz (der korrekte, etwas sperrige Name lautet Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz).

Nun ist es für große Unternehmen zweifellos ein erheblicher Aufwand, Menschenrechtsverletzungen über ihre gesamte Lieferkette hinweg aufzudecken und auszuschließen. Ein handelsüblicher PKW besteht ja aus ungefähr 10.000 Einzelteilen, die weltweit bei zahlreichen Zulieferern produziert werden. Aber wenn wir verabscheuungswürdige Produktionsverhältnisse, wie etwa die oben beschriebenen, wirklich verhindern wollen, bleibt uns nichts anderes übrig. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen sind erfahrungsgemäß wertlos und haben bis dato häufig versagt. Letztlich war die Gier meist größer als die Moral. Oh, an Lippenbekenntnissen hat es natürlich nie gemangelt, aber an entsprechenden Taten. Wer bekennt sich schon öffentlich zur Ausbeutung von Menschen?

Deshalb kann man sich nicht mehr nur auf Journalisten oder Whistleblower verlassen, die Missstände aufdecken. So gesehen war das Lieferkettengesetz eigentlich längst überfällig. Wer glaubt, sich mit Luxus-Artikeln aufwerten zu müssen, soll es tun. Aber bitte nicht auf Kosten der Menschen, die den Luxus produzieren. Und wer es für notwendig hält, mit unsachlichen Diskussionsbeiträgen gegen das Lieferkettengesetz Stimmung machen zu müssen, hat sich definitiv auf der falschen Seite positioniert. Obendrein ist so ein Verhalten kontraproduktiv, weil durchaus erwägenswerte Argumente von der unsachlichen Polemik überdeckt werden.

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[2] Süddeutsche Zeitung vom 11.06.2024