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21. Juni 2024, von Michael Schöfer
Trump hätte es nötiger als die Schüler


Religionen tendieren generell zur Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und zur Bevormundung von Mitmenschen. Das gilt wohlgemerkt für alle Religionen, keineswegs, wie ein im Westen beliebtes Vorurteil behauptet, bloß für den Islam. In der Menschheitsgeschichte wurde wohl für keine andere Ideologie so viel Blut vergossen, wie für den Glauben an Gott oder die Götter. Im Mittelalter hat man im Namen der christlichen Nächstenliebe sogar Menschen verbrannt. Nicht selten bei lebendigem Leib. Deshalb sollte man insbesondere dann, wenn Politiker damit beginnen, ihren Glauben demonstrativ nach außen zu kehren, hellhörig werden, es könnte nämlich ein schlimmes Unheil drohen.

Die Aufklärung propagierte die Trennung von Staat und Kirche, der Glaube ist im Westen seit langem eine reine Privatangelegenheit. Wenigstens offiziell. "Der Kongreß darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat", heißt es im ersten Zusatzartikel der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit dem Glauben wird aber trotzdem gerne Politik gemacht. Offenbar, weil es auch heute noch genug schlichte Gemüter gibt, die darauf hereinfallen und ihr Wahlverhalten entsprechend ausrichten. In keiner Demokratie ist das derzeit so schlimm wie in den USA.

Im US-Bundesstaat Louisiana müssen künftig in allen Klassenzimmern öffentlicher Schulen die biblischen Zehn Gebote aushängen. "Der Gesetzentwurf 71 des Repräsentantenhauses, der im Mai von den Abgeordneten des Bundesstaates verabschiedet wurde, schreibt demnach vor, dass in jedem Klassenzimmer von Schulen, die staatliche Mittel erhalten, vom Kindergarten bis zur Universität, ein Plakat mit den Zehn Geboten in 'großer, gut lesbarer Schrift' angebracht werden muss." Das dortige Repräsentantenhaus ist fest in der Hand der Republikaner, sie stellen 73 von insgesamt 105 Abgeordneten. Eine bequeme Zwei-Drittel-Mehrheit also. Kompromisse? Nicht notwendig. Die Einhaltung der Verfassung? Ebenso wenig. Die republikanische Abgeordnete Dodie Horton wies alle Bedenken zurück. "Sie erklärte, die Zehn Gebote seien in der Rechtsgeschichte fest verwurzelt. Das Gesetz werde einen Moralkodex in den Unterricht einbringen." [1] Nicht irgendeinen Moralkodex, sondern den christlichen. Wobei es kein Geheimnis ist, dass es in den USA auch Andersgläubige und Atheisten gibt. Obendrein gehört die Religionsfreiheit zu den Gründungsmythen der Vereinigten Staaten.

Allerdings darf man vermuten, dass die Republikaner von Louisiana zwar nach außen hin gerne betont christlich tun, aber vielleicht selbst noch nicht einmal die Zehn Gebote kennen. Wer nicht bibelfest ist, dem sei geholfen [2]:

Das erste Gebot: Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Das zweite Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.
Das dritte Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen.
Das vierte Gebot: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.
Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten.
Das sechste Gebot: Du sollst nicht ehebrechen.
Das siebte Gebot: Du sollst nicht stehlen.
Das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Das neunte Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.
Das zehnte Gebot: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was dein Nächster hat.

Nun finden bekanntlich in den USA im November Präsidentschaftswahlen statt, und der republikanische Kandidat ist jemand, der nicht nur nach der Meinung von Säkularen dafür völlig ungeeignet sein müsste: Donald Trump. Lassen wir einmal seinen Putschversuch am 6. Januar 2021 ganz außer Acht, bewerten wir ihn allein an dem von den Republikanern so heißgeliebten Moralkodex der christlichen Bibel.

Das erste Gebot: "Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir." Obwohl Ferndiagnosen schwierig und von daher zugegebenermaßen fragwürdig sind, ist Donald Trump nach Aussage vieler Psychologen wahrscheinlich ein Narzisst. Er zeigt zumindest die typischen Merkmale des Narzissmus. Trump liebt anscheinend bloß sich selbst, von Gottesfürchtigkeit war bei ihm bislang nichts zu spüren. Ausgenommen die ostentativen Gebete mit radikalen evangelikalen Predigern. "Gott schaute auf sein geplantes Paradies herab und sagte: Ich brauche einen Verwalter. Also gab Gott uns Trump." [3] Eine religiös verbrämte Wahlempfehlung. Das kollidiert natürlich auch mit dem zweiten Gebot: "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen." Für Wahlkampfzwecke gilt das offenbar nicht.

Fünftes Gebot: "Du sollst nicht töten." Was sagt der republikanische Präsidentschaftskandidat? "Wir werden die Kommunisten, Marxisten, Faschisten und linksradikalen Gangster ausrotten, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben, die lügen, stehlen und bei Wahlen schummeln und alles in ihrer Macht Stehende unternehmen werden - legal oder illegal - um Amerika zu zerstören und den amerikanischen Traum zu zerstören." [4] Darauf, ob er das "Ausrotten" tatsächlich ernst meint, sollte man es besser nicht ankommen lassen. Einem Politiker, der Menschen ausdrücklich als Tiere bezeichnet, ist letztlich alles zuzutrauen, wie wir aus bitterer Erfahrung wissen. [5]

Spätestens beim sechsten Gebot ("Du sollst nicht ehebrechen") müssten alle amerikanischen Christen laut aufschreien, schließlich hat die frühere Pornodarstellerin Stormy Daniels gerade vor einem New Yorker Geschworenengericht ausgesagt, dass sie im Jahr 2006 mit Donald Trump einen One-Night-Stand hatte. Der One-Night-Stand an sich ist in den Augen von Christen nicht verwerflich - es sei denn, sie sind Vertreter einer rigiden Sexualmoral ("keinen Sex vor der Ehe"). Aber im Jahr zuvor heiratete er seine jetzige Frau Melania, ihr gemeinsamer Sohn Barron kam im März 2006 zur Welt. Der besagte One-Night-Stand soll also kurz nach dessen Geburt stattgefunden haben. Gilt Ehebruch nicht als Todsünde?

Achtes Gebot: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten" (vulgo: Du sollst nicht lügen). Der Washington Post zufolge hat Donald Trump während seiner Präsidentschaft 30.573 falsche oder irreführende Behauptungen aufgestellt. [6] Mit anderen Worten: Trump ist ein notorischer Lügner, das achte Gebot interessiert ihn einen Dreck.

Und beim zehnten Gebot ("Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau") müssten überzeugte Christen endgültig zu dem Ergebnis kommen, dass Trump für sie aus charakterlichen Gründen absolut unwählbar ist. Eigentlich hätte er bei ihnen schon seit 2016 unten durch sein müssen, denn seine berühmt-berüchtigte Aussage "Grab them by the pussy" spricht Bände. "Ich bin automatisch hingezogen zu Schönen – ich fange einfach an, sie zu küssen. Es ist wie ein Magnet. Einfach küssen. Ich warte nicht mal. Und wenn du ein Star bist, lassen sie es dich tun. Du kannst alles tun. […] Sie an der Muschi packen. Du kannst alles tun." [7]

Keiner hätte es nötiger, über die Zehn Gebote belehrt zu werden, als der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Doch in den Augen der Wählerinnen und Wähler perlt anscheinend alles an ihm ab. Der Teflon-Trump. Die Zehn Gebote als Moralkodex in den Unterricht einzubringen und gleichzeitig Donald Trump zu Füßen zu liegen, beißt sich jedenfalls gewaltig. Aber leider ist auch das keine neue Erkenntnis: Gerade unter Religiösen (oder denjenigen, die es angeblich sind) ist die Heuchelei weit verbreitet. Gerne sehen sie den Splitter im Auge des anderen, doch der Balken im eigenen wird geflissentlich übersehen.

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[1] Süddeutsche vom 20.06.2024
[2] EKD, Die zehn Gebote, Grundlage der christlichen Ethik
[3] Berliner Morgenpost vom 10.01.2024
[4] Spiegel-Online vom 13.11.2023, Hervorhebung von mir
[5] tagesschau.de vom 03.04.2024
[6] Washington Post, Stand der Datenbank 20.01.2021
[7] Wikipedia, Donald Trump