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17. Juli 2024, von Michael Schöfer
Ein gefährlicher Irrweg


Das Verbot des laut Verfassungsschutz rechtsextremistischen Magazins Comapct ist ein unter demokratietheoretischen Aspekten höchst fragwürdiger Vorgang, der freilich an einem durchaus tauglichen Beispiel vollzogen wurde. Letzteres macht ihn dennoch nicht besser. Der größte Angriff auf die Pressefreiheit seit Bestehen der Bundesrepublik fand wohl im Jahr 1962 statt, als die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins Der Spiegel durchsucht und leitende Redakteure verhaftet wurden. Vorwurf: Landesverrat. Anlass war der Artikel "Bedingt abwehrbereit" vom 9. Oktober des gleichen Jahres. Letztlich erwiesen sich die Vorwürfe jedoch als haltlos, der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) musste wegen seiner dubiosen Rolle in der Spiegel-Affäre zurücktreten. Vom Bundesverfassungsgericht wurde dieser beispiellose Machtmissbrauch übrigens nie aufgearbeitet, denn eine dagegen eingereichte Verfassungsbeschwerde des Spiegel-Verlags wurde abgewiesen. Unfassbar.

Wettgemacht wurde dieses juristische Manko aber durch das sogenannte Cicero-Urteil vom 27. Februar 2007. Das Magazin Cicero zitierte 2005 in einem Artikel längere Passagen aus einem streng geheimen Auswertungsbericht des Bundeskriminalamtes, die Staatsanwaltschaft Potsdam leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen den Verfasser des Artikels und den Chefredakteur des Cicero ein. Vorwurf: Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses. Die Redaktionsräume des Cicero sowie die Wohn- und Geschäftsräume des Journalisten wurden durchsucht und Beweismittel beschlagnahmt. Das Bundesverfassungsgericht deklarierte dieses Vorgehen als verfassungswidrig, der Eingriff in die Pressefreiheit war verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. "Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat", schrieben die Verfassungsrichter in der Urteilsbegründung. Die Pressefreiheit ist in einer Demokratie ein hohes Gut und zum Funktionieren derselben unverzichtbar, Eingriffe in die Pressefreiheit dürfen deshalb nie unverhältnismäßig sein. Staatliches Handeln unterliegt generell der Verhältnismäßigkeit, aber bei Grundrechtseingriffen müssen die Behörden diese Abwägung besonders sorgfältig vornehmen.

Wenn die Bundesinnenministerin mit einer einfachen Verbotsverfügung ohne richterliche Kontrolle ein Presseorgan verbieten kann, halte ich das unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit für extrem gefährlich. Selbst dann, wenn das betroffene Magazin offenbar ziemlich unappetitlich ist. Allerdings sagt das Bundesverfassungsgericht dazu: "Meinungen (...) fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden. Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt." [1] Es steht dem Staat also gar nicht zu, eine wie auch immer geartete Meinungskontrolle auszuüben, die über die im Strafrecht festgelegten Tatbestände hinausgeht. "Eine Zensur findet nicht statt." (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG) Wäre es anders, könnten die Behörden jede in ihren Augen missliebige Meinungsäußerung untersagen.

Daran, dass Presseunternehmen (im vorliegenden Fall eine GmbH) überhaupt unter das Vereinsgesetz fallen, worauf sich das Verbot von Nancy Faeser (SPD) stützt, ist juristisch nicht unumstritten. [2] Wenn es strafrechtliche Vorwürfe gibt, warum wird dann kein Ermittlungsverfahren eingeleitet? Volksverhetzung ist bekanntlich strafbar. Ein rechtsstaatliches Verfahren vor einem ordentlichen Gericht hätte diese Vorwürfe klären können. Natürlich kann Compact gegen das erlassene Vereinsverbot klagen, aber bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung ist das Magazin vom Markt verschwunden, bleibt das Firmenvermögen eingezogen und sind die Produktionsmittel beschlagnahmt. Falls es keine Eilentscheidung des Bundesverwaltungs- oder des Bundesverfassungsgerichts gibt, kann die juristische Klärung mitunter Jahre auf sich warten lassen. Wie gesagt, all das bloß aufgrund der Verbotsverfügung der zuständigen Ministerin und ohne jegliche Kontrolle durch ein ordentliches Gericht.

Jeder Demokrat muss hier heftige Bauchschmerzen bekommen, denn wenn es wirklich so leicht ist, sind unsere Presseorgane jeder autoritären Regierung hilflos ausgeliefert. Warum gibt es denn derzeit die berechtigte Diskussion darüber, wie man das Bundesverfassungsgericht gegenüber dem durchaus denkbaren Machtmissbrauch der Regierenden besser absichern kann? Weil man der AfD keineswegs unbegründet zutraut, die Demokratie von innen heraus anzugreifen, sobald sie nach Wahlen im Bund oder in irgendeinem Bundesland in die Regierungsverantwortung kommen sollte. Spielen wir das doch einmal anhand des oben genannten Vereinsverbots durch: Ein AfD-Bundesinnenminister nimmt sich an Nancy Faeser ein Beispiel und geht gegen die - aus AfD-Sicht - "Lügenpresse" respektive "Systempresse" vor. Die Begründung kann sich schließlich jeder x-beliebige Jurist aus den Fingern saugen, das Verbot des Ministers unterliegt zunächst keiner richterlichen Kontrolle. Gewiss, die Süddeutsche Zeitung (ebenfalls eine GmbH), die taz oder wen auch immer es treffen mag kann dagegen klagen und durch alle Instanzen ziehen, aber ist dieser Angriff auf die Pressefreiheit gerechtfertigt? Ist er verhältnismäßig? Ist er verfassungskonform? Bis das Ganze ausgeurteilt ist, sind die Publikationen vielleicht längst pleitegegangen.

Völlig abwegig, total überzogen und hierzulande absolut undenkbar? Nun, das war die staatliche Repression gegen den Spiegel und Cicero auch - bis sie dann trotzdem passiert ist. Ich möchte in keinem Land leben, in dem eine Ministerin Pressepublikationen mit einem einzigen Federstrich verbieten kann, das kennt man nämlich gemeinhin nur aus Autokratien. Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht um Compact, sondern um die Prinzipien der Verfassung und um das Funktionieren der Demokratie. Presseunternehmen kurzerhand zu Vereinen zu erklären und sie mit Verweis aufs Vereinsrecht zu verbieten, ist ein gefährlicher Irrweg. Falls das Vorgehen wider Erwarten juristisch Bestand haben sollte, wird es sich bestimmt zum Königsweg für alle künftigen Angriffe auf die Pressefreiheit entwickeln, schließlich können sich die Feinde der Demokratie auf das Vorgehen von Nancy Faeser gegen Compact berufen.

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[1] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 28.11.2011, 1 BvR 917/09
[2] vgl. LTO vom 16.07.2024, Ist das Compact-Verbot rechtswidrig?