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| Impressum 21. Juli 2024, von Michael Schöfer Ach, es ist schon eine Last, Milliardär zu sein Das Bruttogeldvermögen der privaten Haushalte (Bargeldbestände, Bankeinlagen, Wertpapiere, Ansprüche gegenüber Versicherungen und Pensionseinrichtungen) lag laut Bundesbank Ende Juni 2024 bei 7,9 Billionen Euro. Netto, also nach Abzug der Schulden, waren es 5,8 Billionen. Allerdings ist dieser Reichtum sehr ungleich verteilt: Die vermögendsten 10 Prozent der Haushalte besitzen mehr als 70 Prozent des Nettogeldvermögens, während die untere Hälfte nur über knapp ein Prozent verfügt. [1] Und das Vermögen der Reichen wächst beständig. "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein", wetterte der ehemalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle 2010. [2] Aber er meinte damit nicht etwa die Milliardärin Susanne Klatten, deren Vermögen (ca. 24 Mrd. €) aus einer Erbschaft resultiert, also ursprünglich anstrengungslos erworben wurde. Westerwelle meinte natürlich die Hartz IV-Bezieher, alles andere hätte bei der FDP auch zu großer Verwunderung geführt. Der Spruch "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" gilt nämlich bloß für die Armen, reiche Erben werden vom Staat sogar nach Kräften unterstützt. Man muss dabei strikt zwischen Einkommen einerseits und Vermögensübertrag durch Schenkung oder Erbschaft andererseits differenzieren. Der effektive Steuersatz für milliardenschwere Unternehmenseigentümer und typische Einkommensmillionäre entspricht nicht annähernd dem Spitzensteuersatz", schreibt das Netzwerk Steuergerechtigkeit. "Stattdessen ist ihr Steuersatz teilweise kaum höher als der auf durchschnittliche Arbeitseinkommen. Bei Durchschnittsverdienern kommen zudem noch die Sozialbeiträge hinzu, die Hochvermögende u.a. aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze kaum belasten." [3] In einer Doku des ZDF heißt es, Hochvermögende könnten mithilfe spezialisierter Berater "hochkomplexe Steuersparmodelle konstruieren", die es ihnen auf legalem Wege erlauben, "den Steuersatz auf Vermögenserträge auf unter ein Prozent zu drücken". [4] Das treibt jeder Altenpflegerin oder Erzieherin die Tränen in die Augen. Steuersparmodelle werden aber besonders beim Vermögenstransfer per Schenkung oder Erbschaft relevant. Presseberichten zufolge will Susanne Klatten ihr Vermögen auf ihre drei erwachsenen Kinder übertragen. "Geht man der Einfachheit halber davon aus, dass alle drei je gut acht Milliarden erhalten, müsste jedes Kind 2,5 Milliarden Euro Schenkungsteuer zahlen. Da es aber um Betriebsvermögen geht, wird die tatsächliche Steuerlast am Ende wohl allenfalls bei einem Bruchteil dieser Summe liegen." [5] Das Zauberwort heißt "Verschonungsbedarfsprüfung" (§ 28a ErbStG). Wenn jemand zu "arm" ist, um die durch den Übertrag von unternehmerischem Vermögen fällige Schenkungsteuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu entrichten, wird sie ihm unter bestimmten Voraussetzungen erlassen. Kurios: Steuerrechtlich betrachtet ist in diesem Fall ein Milliardär eben nicht vermögend. Man kann einen ganzen Industriekonzern geschenkt bekommen, ist jedoch in den Augen der Finanzbeamten bloß ein armer Schlucker. So "bedürftig" wäre ich auch gerne. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit rechnet vor: "Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2023 in 26 Fällen Steuern in Höhe von insgesamt 2,1 Milliarden Euro erlassen. In diesen Fällen wurde schätzungsweise ein begünstigtes Vermögen von rund 7 Milliarden Euro übertragen. Das Finanzamt hat darauf zunächst eine Steuer von 2,13 Milliarden Euro festgesetzt. Aufgrund von Bedürftigkeit wurden davon aber 99,7 Prozent wieder erlassen. Tatsächlich mussten die Erben und Beschenkten insgesamt nur 6,28 Millionen Euro zahlen. Ihr effektiver Steuersatz liegt also im Durchschnitt bei rund 0,1 Prozent. Damit wird deutlich, dass die Verschonungsbedarfsprüfung so ausgestaltet ist, dass sie im Ergebnis fast immer zu einem weitreichenden Steuererlass führt." [6] Anders
ausgedrückt: Nur Dumme zahlen den regulären Steuersatz, denn
das verfügbare Vermögen des Beschenkten lässt sich schließlich
passend zum Stichtag der Schenkung gestalten. Warum die
Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer erlassen und nicht peu à peu
abgestottert wird, das übertragene Betriebsvermögen
erwirtschaftet ja in der Regel weiterhin Erträge, erschließt
sich wohl allein dem Gesetzgeber. Die
Verschonungsbedarfsprüfung gilt übrigens erst ab einem
Vermögensübertrag von mehr als 26 Mio. Euro, Großerbschaften
und -schenkungen sind daher eindeutig privilegiert. Wer macht
eigentlich solche ungerechten Gesetze? (In diesem Fall war es
die schwarz-rote GroKo, das Kabinett Merkel III.) Da ist doch der
Frust beim hart arbeitenden Normalverdiener, der keine
Reichtümer erbt oder geschenkt bekommt, vorprogrammiert.
Frust, der gewiss auch Wasser auf die Mühlen der AfD ist.
Und wenn wir uns zum Schluss der Steuerhinterziehung zuwenden, wird der Frust mit Sicherheit noch viel größer. "Banken stehlen Milliarden auf Kosten der Steuerzahler - und die Politik schert sich kaum um die Aufklärung. So lässt sich die Kritik der ehemaligen Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker zusammenfassen. Wenn sich die Politik mehr wegen der Schäden für möglicherweise an dem Steuerskandal Beteiligte sorge als wegen gestohlener Steuermilliarden, könne man offensichtlich den Eindruck gewinnen, dass die Finanzpolitik 'den Banken an dieser Stelle noch immer nähersteht als den Bürgern'", schreibt das Handelsblatt. [7] Angeblich will man in Deutschland schon seit längerem hochqualifizierte Finanzermittler einstellen, um die Finanzkriminalität effektiver zu bekämpfen. Doch den Ankündigungen scheinen bloß halbherzig Taten zu folgen, beim Aufbau einer schlagkräftigen Finanzkriminalitätsbekämpfung hakt es jedenfalls gewaltig. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Bei den oberen Zehntausend schaut man nicht so genau hin, Bürgergeldempfänger hingegen müssen per Bedarfsprüfung vor den Behörden die Hosen herunterlassen, bei Letzteren werden die Einkommens - und Vermögensverhältnisse akribisch geprüft. Das Ausmaß der Steuerhinterziehung ist naturgemäß schwer zu schätzen, aber wenn man es auf 100 Mrd. Euro beziffert, dürfte man nicht allzu weit weg von der Wahrheit liegen. Wohlgemerkt: 100 Mrd. Euro pro Jahr. Die Finanzierung der Kindergrundsicherung? Der Bau von bezahlbarem Wohnraum? Die Umsetzung der Betreuungsgarantie bei Kitas? Die Sanierung von Autobahnbrücken, Bahntrassen und der Bundeswehr? Wäre mit den 100 Milliarden zweifelsohne viel, viel leichter. Kein Finanzminister von Bund und Land müsste sich wegen der Einhaltung der Schuldenbremse Gedanken über Kürzungen machen, die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze würde vollauf genügen. Seine Steuern zu zahlen wie jeder andere auch, ist das für Milliardäre etwa schon zu viel verlangt? Unternehmer beklagen sich zu Recht über die marode Infrastruktur, aber sind sie auch bereit, ihr Scherflein dazu beizutragen? Aggressive Steuervermeidungsstrategien und die Verlegung des Wohn- oder Firmensitzes ins steuergünstigere Ausland passen nicht zu solchen Forderungen. Ach, es ist schon eine Last, Milliardär zu sein. Ständig ist man von Neid und Missgunst umgeben, muss sich mit den unverschämten Forderungen der geldgierigen Finanzbeamten auseinandersetzen. Warum mit seinen Steuern die Sanierung der Bahn mitfinanzieren, schließlich fährt man Porsche? Als Milliardär wird man buchstäblich gegen seinen Willen zur Notwehr gedrängt und den gewieften Steuerberatern mit ihren raffinierten Steuersparmodellen geradezu in die Arme getrieben. Zu allem Überfluss auch noch diese äußerst lästigen, aber leider unumgänglichen Spenden zur Pflege der politischen Landschaft, damit die Gesetze für die Reichen so günstig bleiben wie sie derzeit glücklicherweise sind. Wer mag da wirklich widersprechen? Falls ich Zeit habe, spendiere ich den Milliardären eine Runde Mitleid. ----------
[1]
Bundesbank vom 18.07.2024
[2]
Die Welt-Online vom 11.02.2010
[3]
Netzwerk Steuergerechtigkeit vom
11.12.203, Der Steuersatz der Superreichen
[4]
ZDF vom 12.12.2023, Die geheime Welt
der Superreichen - Das Milliardenspiel
[5]
Süddeutsche Zeitung vom 04.07.2024, Printausgabe Seite 14
[6]
Netzwerk Steuergerechtigkeit vom
19.07.2024, Erneut Steuererlasse in Milliardenhöhe für Erben
von Großvermögen
[7] Handelsblatt vom 17.07.2024
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