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16. August 2024, von Michael Schöfer
Winston Smith hätte alte Pressemitteilungen keinesfalls übersehen


"Ich habe heute das rechtsextremistische 'COMPACT-Magazin' verboten", verkündete Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Mitte Juli 2024 entschlossen. [1] Schon allein die der Öffentlichkeit präsentierte Begründung war höchst unprofessionell, denn die Ministerin vermittelte den Eindruck, sie sei der Oberzensor der Republik. Dabei ging es angeblich, also rein rechtlich, gar nicht um das Verbot eines Mediums, sondern übers Vehikel des Vereinsrechts um das Verbot der GmbH, die das Compact-Magazin herausgibt. Ein Taschenspielertrick, denn für das Presserecht ist die Bundesinnenministerin gar nicht zuständig, das fällt nämlich in die Kompetenz der Länder. Unter Juristen war umstritten, ob das Vereinsrecht überhaupt ein zulässiges Mittel ist, in die vom Grundgesetz garantierte Pressefreiheit einzugreifen. Von der offenbar beabsichtigten Prangerwirkung ganz zu schweigen, denn als die Polizei im brandenburgischen Falkensee morgens um 6 Uhr bei Jürgen Elsässer klingelte, ließ sich das die anscheinend vorab informierte Presse natürlich nicht entgehen. Genüsslich wurde verbreitet: "Als die Polizei klingelte, stand Elsässer im Morgenmantel da." Mit dem entsprechenden Bildmaterial, versteht sich. [2] Man kann von Compact und Elsässer halten was man will, doch die Grundrechte gelten schließlich auch für sie.

Jetzt hat Nancy Faeser ihr dilettantisches Vorgehen vom Bundesverwaltungsgericht in einer Eilentscheidung um die Ohren geschlagen bekommen. Für das Gericht bestanden Zweifel, ob "das Verbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerechtfertigt ist. (…) Bei der dem Bundesverwaltungsgericht im Eilverfahren obliegenden Abwägung überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zu 1 das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung. Da die Vollziehung des Vereinsverbots zu der sofortigen Einstellung des gesamten Print- und Onlineangebots führt, das den Schwerpunkt der Tätigkeit der Antragstellerin zu 1 ausmacht, kommt ihrem Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage im Hinblick auf die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ein besonderes Gewicht zu." [3] Wie das Hauptsacheverfahren ausgeht und anschließend ggf. das Bundesverfassungsgericht entscheidet, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wurde die Eilentscheidung des BVerwG überwiegend als Klatsche für Nancy Faeser interpretiert.

Es ist nicht die einzige fragwürdige Entscheidung der Bundesinnenministerin. In einem Gesetzentwurf zur Änderung des BKA-Gesetzes will Nancy Faeser dem Bundeskriminalamt "das Einbrechen in Wohnungen erlauben, um sie heimlich durchsuchen zu können oder um Spähsoftware auf Computern und Smartphones zu installieren". [4] Methoden, wie man sie von Diktaturen gewohnt ist, aber nicht von einem demokratischen Rechtsstaat. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der als Verfassungsminister qua Amt die Aufsicht über die Wahrung der Verfassung und der verfassungsgemäßen Rechte der Bürger hat, erteilte diesem Ansinnen sogleich eine Absage: "Es wird keine Befugnisse zum heimlichen Schnüffeln in Wohnungen geben. Im Staat des Grundgesetzes machen wir so etwas nicht. Das wäre ein absoluter Tabubruch." [5]

Man reibt sich angesichts von Faesers Wandlung vom Paulus zum Saulus ohnehin verwundert die Augen, denn als Oppositionspolitikerin im hessischen Landtag vertrat sie noch die gegenteilige Auffassung. Als 2018 die damalige schwarz-grüne Landesregierung einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Landesverfassungsschutzes vorlegte, erwiderte die seinerzeitige innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion: Der Gesetzesentwurf von CDU und Grünen verstoße in seiner derzeitigen Form eindeutig gegen das Grundgesetz und sei daher nicht zustimmungsfähig. "Die SPD-Politikerin stellte klar, dass es die so genannte 'Online-Durchsuchung', also das Ausspähen von mit dem Internet verbundenen Endgeräten mit Hilfe einer verdeckt vom Verfassungsschutz installierten Software, mit der SPD nicht geben werde. (…) Dasselbe gelte für die Befugnisse zur technischen Wohnraumüberwachung, die der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen dem Verfassungsschutz einräumen wolle. Eingefügt werden müsse hingegen eine klare und wirksame Vorschrift zum Schutz des so genannten 'Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung', mit der die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger geschützt werde." [6]

Nun sind zwar BKA und Verfassungsschutz rechtlich gesehen zwei Paar Stiefel, dennoch hat sich Nancy Faeser in ihrer Zeit als Oppositionspolitikerin in Hessen vehement gegen solche schwerwiegenden Eingriffe in die Privatsphäre und die Bürgerrechte gewehrt. Jetzt will sie diese als Bundesinnenministerin sogar erheblich ausweiten. Faeser hat mittlerweile ihre ehedem erworbene Reputation als Anwältin der Bürgerrechte gründlich verspielt. "Das Bundespolizeigesetz novellieren wir ohne die Befugnis zur Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung", steht auf Seite 87 des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP. [7] (Eine Änderung des BKA-Gesetzes wurde nicht vereinbart.) Was Faeser dazu verleitet hat, neuerdings genau das Gegenteil anzustreben, bleibt ein Rätsel. Das Bundesinnenministerium ist wie eine Blackbox, in das man als Verteidigerin der Bürgerrechte hineingeht und auf wundersame Art und Weise als Law-and-Order-Ministerin wieder herauskommt. Der letzte SPD-Bundesinnenminister vor Faeser, Otto Schily, wurde ja ebenfalls nicht ohne Grund "roter Sheriff" genannt.

Ihre Scheinheiligkeit in puncto Bürgerrechte kann die SPD kaum abstreiten. Beispiel Baden-Württemberg: "Online-Durchsuchungen im Landespolizeigesetz darf es nicht geben, weil Kernbereiche privater Lebensgestaltung trotz Terrorgefahr geschützt bleiben müssen", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Reinhold Gall, anno 2007. "Es geht niemanden etwas an, welche privaten Daten eine Bürgerin oder ein Bürger auf dem PC speichert, auch keinen Richter." Sein Fraktionskollege Rainer Stickelberger pflichtete dem bei: "Freiheitsrechte dürfen nicht im Namen der Sicherheit zu Tode geschützt werden. Der Rechtsstaat darf sich nicht schleichend in einen Präventionsstaat verwandeln." [8] Damals regierte im Ländle noch Schwarz-Gelb. Als Reinhold Gall 2011 dann selbst Innenminister von Baden-Württemberg war, hörte sich das plötzlich ganz anders an: "Der Innenminister kündigte an, dass sich Baden-Württemberg an einer neuen Software für gezielte Zugriffe auf Rechner und Computer beteiligen werde." [9] Winston Smith, George Orwells Held in "1984", hätte die alten Pressemitteilungen bei der Bereinigung der Vergangenheit keinesfalls übersehen. Davon kann die SPD noch viel lernen. (Achtung: Ironie!)

Als Wähler, dem die Bürgerrechte wichtig sind, kommt man sich nicht zu Unrecht veräppelt vor. Bei Reinhold Gall genauso wie bei Nancy Faeser. In meinen Augen entwickelt sich die Bundesinnenministerin für die sowieso angeschlagene Ampelregierung zu einer untragbaren Belastung.

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[1] Bundesinnenministerium vom 16.07.2025
[2] Tagesspiegel vom 16.07.2024
[3] Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung Nr. 39/2024 vom 14.08.2024
[4] taz vom 13.08.2024
[5] tagesschau.de vom 15.08.2024
[6] Nancy Faeser, SPD-Landesverband Hessen, vom 13.03.2018
[7] SPD, Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag 2021-2025, Seite 87, PDF-Datei mit 2,2 MB, Hervorhebung von mir
[8] SPD im baden-württembergischen Landtag, Pressemitteilung vom 03.08.2007
[9] Staatsanzeiger vom 09.11.2011