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22. August 2024, von Michael Schöfer
Ein "Faktencheck", der keiner ist


"Waffen, die in Deutschland stationiert sind, sind grundsätzlich für den Verteidigungsfall gedacht, da eine deutsche Regierung wohl niemals einen Krieg beginnen würde", sagt der "Faktencheck" des Deutschlandfunks zur Aussage von Sahra Wagenknecht, dass die US-Waffen Deutschland zur Zielscheibe für Russland machen. [1] So einfach ist das. Bestimmt haben die Verfasser laut darüber gelacht, denn diese Argumentation ist furchtbar primitiv. Selbst Hitler hat am 1. September 1939 um 5:45 Uhr angeblich nur "zurückgeschossen", als er den Zweiten Weltkrieg entfachte. Waffen sind immer nur zur Verteidigung da, sogar bei Angreifern. Das ist schon von jeher die Standardrechtfertigung: Wir verteidigen uns ja bloß. Wir sind die Guten. Wer das tatsächlich glaubt, hat sich nie mit der militärischen Logik von Waffensystemen befasst. Und den Widersprüchen der Abschreckung.

Dass westliche Waffen stets nur zur Verteidigung da sind, ist daher eine ziemlich einfältige Argumentation der "Faktencheck"-Redaktion des DLF (Sabine Adler, Marcus Pindur, Florian Kellermann). Selbstverständlich behauptet auch Wladimir Putin, sich bloß zu verteidigen. Doch das muss ja nicht stimmen. Und in seinem Fall ist das offenkundig gelogen. Was der "Faktencheck" des DLF allerdings total ausblendet, ist die militärische Eigendynamik der Stationierung von Mittelstreckenraketen, insbesondere deren Charakteristik als Erstschlagswaffen und die daraus resultierende destabilisierende Wirkung. Die militärische Eigendynamik ist völlig unabhängig davon, was die Beteiligten politisch wollen oder nicht. Es kommt nämlich einzig und allein darauf an, was der jeweilige Kontrahent vom anderen wahrnimmt (Perzeption), welche Absichten er ihm unterstellt. Nimmt man vom Gegner etwas Falsches an, hat man sich verkalkuliert. Und das kann böse enden. Von einem Krieg aus Versehen ganz zu schweigen. Ein Krieg, den keiner will, der aber trotzdem stattfindet.

Ein bisschen mehr Substanz beim "Faktencheck" kann also nie schaden. Wenn man bestimmte Fakten - warum auch immer - außer Acht lässt, ist das zumindest kein vollständiger Faktencheck, sondern vielmehr ein Armutszeugnis. Der Deutschlandfunk lässt alle Fakten, die gegen die Stationierung sprechen, kurzerhand unter den Tisch fallen. Ist das Absicht? Sollen die Hörer vorsätzlich getäuscht werden? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Mit "Faktenchecks", die lediglich die Verlautbarungen der Regierung wiederholen, ist jedenfalls keinem gedient. Nachplappern von Regierungspropaganda hat noch nie geholfen. Wo bleibt da bitteschön der kritische Journalismus?

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[1] Deutschlandfunk vom 17.08.2024