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29. August 2024, von Michael Schöfer
Hierzulande ist weit und breit keine Kamala Harris in Sicht


Politik ist ein undankbares Gewerbe, das weiß keiner so gut wie US-Präsident Joe Biden. Sein desaströses TV-Duell mit Donald Trump war der Sargnagel seiner Wahlkampagne, die ihn erneut ins Oval Office tragen sollte. Nun ja, trotz seiner unbestreitbaren Verdienste war er wohl tatsächlich zu alt und - Verzeihung - zu senil, um am Wahltag noch einmal anzutreten. Vermutlich hätte Donald Trump leichtes Spiel gehabt. Seit der Rechtspopulist jedoch mit der 59-jährigen Kamala Harris konfrontiert ist, sieht der 78-Jährige im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich alt aus. Harris, die einer geschickt durchchoreografierten Kampagne folgt, holt zumindest in den Umfragen peu à peu auf. Ob es am 5. November wirklich reicht, bleibt allerdings abzuwarten. Sie präsentiert sich als Anwältin der gebeutelten Mittelschicht, aber man kann ihr das kaum abnehmen, denn die hart arbeitenden Amerikaner waren den Demokraten in der Vergangenheit leider vollkommen egal. Dennoch ist Harris zweifelsohne immer noch die wesentlich bessere Alternative als der verlogene Putschist.

Auch die Bundestagswahl 2025 wirft längst ihre Schatten voraus. Und ähnlich wie in den USA vor dem Verzicht von Joe Biden droht uns die Auswahl zwischen zwei reichlich unbeliebten Kandidaten: Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU). Beim ARD-Deutschlandtrend vom August 2024 lag der Bundeskanzler, was die Zufriedenheit bei den Befragten angeht, weit hinten. 74 Prozent waren mit ihm unzufrieden. Mit Oppositionsführer Friedrich Merz waren allerdings ebenfalls 57 Prozent unzufrieden, und das ist alles andere als ein Vertrauensbeweis. [1] Trotz des eklatanten Versagens der Ampelregierung kann der CDU-Vorsitzende offenbar nicht überzeugen.

Dem Deutschlandtrend zufolge ist Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit Abstand der beliebteste Politiker des Landes. 56 Prozent sind mit ihm zufrieden, lediglich 29 Prozent unzufrieden. Ein Spitzenergebnis. Der Kanzlerkandidat der SPD müsste demzufolge Boris Pistorius heißen, nicht Olaf Scholz. Bei der Union ein ähnliches Bild. Die Frage, wer ein guter Kanzlerkandidat der Union wäre, beantworten 38 Prozent mit "Markus Söder" (CSU), Friedrich Merz landet mit 27 Prozent hinter Hendrik Wüst bloß auf Platz 3. Bei den Anhängern der Union liegt der bayerische Ministerpräsident sogar noch deutlicher in Front. Kleiner Wermutstropfen: Die beliebtesten Politiker dürften weder in der SPD noch in der Union Kanzlerkandidat werden, vielmehr läuft es ausgerechnet auf die beiden unbeliebtesten hinaus.

Das Duell Biden gegen Trump in Amerika entspricht dem Duell Scholz gegen Merz in Deutschland. Doch hierzulande ist weit und breit keine Kamala Harris in Sicht. Pistorius und Söder würden vielleicht wollen, aber sie dürfen wahrscheinlich nicht. Dabei wäre die Kanzlerkandidatur von Boris Pistorius und Markus Söder für ihre Parteien jeweils die aussichtsreichste Alternative. Ein Wahlkampf der politischen Elefanten, bei dem die AfD aufpassen müsste, in der Wahlarena nicht wie eine kleine Maus zertrampelt zu werden. Scholz und Merz dagegen werden die Wählerinnen und Wähler kaum vom Hocker reißen. Schade eigentlich, denn man würde sich auf den Kampf der Umfragegiganten echt freuen.

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[1] Infratest dimap, ARD-DeutschlandTREND August 2024