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| Impressum 31. August 2024, von Michael Schöfer Es scheint, als würden die Mahner recht behalten Was für ein aufgescheuchter Hühnerhaufen! Dass die Politik nach dem Anschlag von Solingen irgendwie reagieren würde, war von vornherein klar. Wie nach jedem derartigen Vorfall sollen nun abermals die Gesetze verschärft werden, etwa das Waffenrecht. Aber auch der Umgang mit Asylbewerbern soll sich ändern, teilweise unter Inkaufnahme von verfassungsrechtlich bedenklichen Maßnahmen. Von den rechtswidrigen Vorschlägen der oppositionellen Union (pauschale Zurückweisung an den Grenzen, zeitlich unbegrenzter Abschiebegewahrsam) ganz zu schweigen. Plötzlich schiebt man sogar straffällig gewordene Afghanen nach Kabul ab, selbstverständlich unter entsprechend großem medialen Bohei. Alle haben Angst vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und den befürchteten Wahlerfolgen der AfD. Erfolge einer Partei, deren Landesverbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft werden. Die Bundespartei wird als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt. Bislang alles gerichtlich bestätigt, so sieht etwa das Oberverwaltungsgericht Münster Anhaltspunkte für Demokratiefeindlichkeit der AfD. Einstufungen, die aber die Wählerinnen und Wähler anscheinend nicht davon abhalten, den Feinden der Demokratie trotzdem ihre Stimme zu geben. Bisher haben die etablierten Parteien noch kein Rezept gefunden, den schier unaufhaltsamen Aufstieg der AfD zu stoppen. Dass das auch an der Unfähigkeit liegen könnte, die drängenden Probleme der Wählerinnen und Wähler zu lösen, taucht dabei allenfalls am Rande auf. Warum sind die etablierten Parteien bereit, bei der Behandlung von Asylbewerbern bis an die Grenze der Verfassungswidrigkeit zu gehen, aber beispielsweise bei der Bekämpfung der grassierenden Wohnungsnot und den horrenden Mietpreissteigerungen nicht? Letzteres wird apathisch hingenommen. Motto: Kann man halt nichts dagegen machen! In Wahrheit stecken dahinter natürlich einflussreiche Interessengruppen. Migranten haben keine Lobby, sie dürfen vor ihrer Einbürgerung nicht einmal wählen. Im Gegensatz zu den Privatvermietern und den Beschäftigten bzw. Anteilseignern der Wohnungsunternehmen. Ob vor diesem Hintergrund der Aktionismus in der Migrationsfrage hilft, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Afghanische Straftäter werden zwar abgeschoben, aber die Wohnungsnot bleibt. Die Unzufriedenheit mit der Politik konzentriert sich momentan besonders auf die Migrationsfrage, doch viel drängendere Probleme bleiben größtenteils unbeobachtet und deshalb auch ungelöst. Stellen wir uns einmal vor, also rein hypothetisch, die Erfolge der AfD wären hauptsächlich auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zurückzuführen. Würde die Politik dann ähnlich spektakulär reagieren? Würde man Wohnungsunternehmen enteignen? Würde man eine effektive Mietpreisbremse durchsetzen? Würde man endlich die unerträgliche Ausnutzung der Notlage von Wohnungssuchenden unterbinden? Würden man vielleicht sogar die gesamte Wohnungsbaupolitik umkrempeln? Lösungsvorschläge, etwa die von Hans-Jochen Vogel [1], gibt es ja genug. Das wäre alles machbar und stünde außerdem im Einklang mit dem Grundgesetz. Doch was macht die Politik? Schiebt demonstrativ nach Kabul ab, obwohl man stets behauptete, das wäre angesichts der dortigen Taliban-Herrschaft gar nicht möglich. Insofern ermutigt die Politik die Anhänger der AfD sogar, denn plötzlich geht ja tatsächlich was. Warum also nicht schon vor Solingen, werden viele fragen. Ich bezweifle deshalb, ob das der richtige Weg ist, sich mit der AfD auseinanderzusetzen. Ihr auf diese Weise den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird vermutlich scheitern. Ich bleibe weiterhin bei meiner Meinung: Löst endlich die Probleme der Menschen, dann wird die AfD keinen Blumentopf mehr gewinnen. Wenn jedoch die sozialen Unterschiede weiterhin wachsen, sich etwa Millionäre vor dem Finanzamt ganz legal arm rechnen dürfen, während Normalverdiener keine bezahlbare Wohnung mehr finden, wird dies die Gesellschaft weiter zersetzen. Völlig unabhängig von der Migrationsfrage. Schon in der Regierungszeit von Helmut Kohl wurde davor gewarnt, den sozialen Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, zu zerstören, weil dies am Ende auch die Demokratie beschädigt. Doch das hat die Regierenden wenig interessiert. Weder Kohl noch Schröder, Merkel oder Scholz. Kleiner Hinweis: Man sollte sie nicht an ihren Lippenbekenntnissen messen, sondern bloß an ihren Taten. So gesehen muss man leider feststellen: Es scheint, als würden die Mahner recht behalten. ----------
[1]
siehe So kann und darf es nicht weitergehen
vom 27.05.2023
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