Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



08. September 2024, von Michael Schöfer
Für die Union wäre das der Worst Case


Der CDU-Bundesvorstand hat Armin Laschet am 19. April 2021 zum Kanzlerkandidaten der Union ernannt, die von vielen geforderte Abstimmung der Parteibasis wurde abgelehnt. Eine Fehlentscheidung, wie wir heute wissen, denn Markus Söder wäre der beliebtere und vielleicht auch erfolgreichere Kandidat gewesen. Die Union hätte es besser wissen müssen, denn kurz zuvor ergab eine repräsentative Umfrage von infratest dimap, dass 54 Prozent der Bundesbürger den CSU-Vorsitzenden für den geeigneteren Kanzlerkandidaten hielten, lediglich 19 Prozent gaben Armin Laschet den Vorzug. Bei den Anhängern der Union war der Abstand noch deutlicher: 79 Prozent für Söder und bloß 29 Prozent für Laschet. [1] Der CDU-Bundesvorstand entschied trotzdem anders, der Rest, die Niederlage bei der Bundestagswahl im September 2021, ist Geschichte.



Nun stellt sich abermals die Frage, wen uns die Union als Kanzlerkandidaten präsentieren wird. Zur Auswahl stehen diesmal der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der CSU-Vorsitzende Markus Söder und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst. Nach dem furchtbaren Debakel der Ampelregierung stehen die Chancen gar nicht so schlecht, dass der Kanzlerkandidat der Union im Herbst 2025 auch tatsächlich Kanzler wird. Falls es nicht schon vorher Neuwahlen gibt. Bei allen Befragten liegt erneut Markus Söder mit 41 Prozent an der Spitze, gefolgt von Hendrik Wüst mit 33 Prozent und Friedrich Merz mit 23 Prozent. Bei den Unionsanhängern sprechen sich 57 Prozent für Söder aus, Merz folgt mit 48 Prozent vor Wüst mit 43 Prozent. [2]



Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sollen angeblich für Friedrich Merz sprechen, obgleich seine Partei dort keineswegs überzeugend abgeschnitten hat. In Thüringen fuhr die CDU das zweitschlechteste Ergebnis bei Landtagswahlen ein, in Sachsen sogar das schlechteste. Gewiss, die Umstände sind durch den Wählerzuspruch für AfD und BSW schwierig gewesen, aber das wird aller Voraussicht nach bei der Bundestagswahl kaum anders sein. Neben CDU/CSU, SPD und Grünen kommen der aktuellen Sonntagsfrage zufolge (Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre…) nur AfD und BSW sicher über die 5-Prozent-Hürde, FDP und Linke bleiben danach draußen. [3] Die Bundestagswahl und die anschließende Regierungsbildung wird für die Union offenbar kein Selbstläufer, es könnte nämlich auf eine Vier-Parteien-Koalition hinauslaufen (CDU, CSU, SPD, Grüne oder BSW).

Das Problem dabei ist: Die Grünen sind für die CDU erklärtermaßen der Hauptgegner, die CSU hat obendrein eine Koalition mit ihnen kategorisch ausgeschlossen. Markus Söder: "Mit mir und der CSU wird es kein Schwarz-Grün in Deutschland geben." [4] Das Bündnis Sahra Wagenknecht wiederum ist vielen in der Union suspekt. Falls es die Mandatsverteilung im Deutschen Bundestag nicht anders hergibt, mit wem will die Union dann eine Regierung bilden? Welche Parteien stimmen für einen Kanzler der Union? Welche Parteien stützen ggf. eine Minderheitsregierung? Umso mehr kommt es für die Union darauf an, ihr Potenzial voll auszuschöpfen und mit dem beliebteren Kanzlerkandidaten ins Rennen zu gehen. Und der heißt definitiv nicht Friedrich Merz. Natürlich durfte man den Dementis von Markus Söder keinen Glauben schenken, weshalb es niemanden überrascht, dass er entgegen seinen früheren Beteuerungen nun doch als Kanzlerkandidat bereitsteht. "Für mich ist Ministerpräsident das schönste Amt, aber ich würde mich nicht drücken, Verantwortung für unser Land zu übernehmen." [5] Söder will gerufen werden. Nachtigall, ick hör’ dir trapsen.

Es ist im Grunde sonnenklar: Wenn die Union im Bund eine stabile Regierung ohne die Grünen und ohne das BSW bilden will, muss sie gemeinsam mit der SPD mindestens auf 50 Prozent der Mandate plus eine Stimme kommen. Doch die SPD schwächelt, mit Bundeskanzler Olaf Scholz wird sie voraussichtlich keinen Blumentopf mehr gewinnen. Ergo muss die Union so stark zulegen, damit es für eine schwarz-rote Koalition und die notwendige Kanzlermehrheit reicht. Ich schreibe das nicht, weil mir Markus Söder besonders sympathisch wäre, noch weniger weil ich die Politik der CSU so überzeugend fände, aber die Union muss sich tatsächlich fragen, ob sie abermals mit dem unbeliebteren Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen will. Das ist 2021 schon einmal schiefgegangen.

Ob Markus Söder beim Wahlvolk wirklich ankommt, wird sich dann zeigen. Friedrich Merz ist jedenfalls für die Union ein Risiko - so wie damals Armin Laschet. Kommt es aus ihrer Sicht zum Worst Case, passiert Folgendes: Merz wird Kanzlerkandidat und kurz vor der Wahl verzichtet Olaf Scholz nach dem Vorbild "Wechsel von Biden zu Harris" zugunsten von Boris Pistorius auf die Wiederwahl. Der Bundesverteidigungsminister ist hierzulande momentan mit großem Abstand der beliebteste Politiker und könnte für die Union zu einer echten Gefahr werden. Friedrich Merz sähe ihm gegenüber ziemlich blass aus. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass sich die Wählerinnen und Wähler bei einer solchen Kandidatenauswahl mehrheitlich der SPD zuwenden und die Union ein weiteres Mal hinter den Sozialdemokraten bloß als Zweite über die Ziellinie geht. Für die SPD wäre das ein echter Coup. Und sie wäre gut beraten, dies ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Mit Olaf Scholz kann sie aus heutiger Sicht eigentlich nur untergehen. Markus Söder wäre jedoch bestimmt imstande, Boris Pistorius viel besser Paroli zu bieten als Friedrich Merz. Zumindest scheinen das die Umfragen zu belegen.

----------

[1] infratest dimap, ARD-Deutschlandtrend April 2021, Seite 10, PDF-Datei mit 333 KB
[2] tagesschau.de, ARD-Deutschlandtrend September 2024, Seite 13, PDF-Datei mit 328 KB
[3] wahlrecht.de, INSA vom 07.09.2024
[4] BR24 vom 02.09.2024
[5] BR24 a.a.O.