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05. Oktober 2024, von Michael Schöfer
Schlag nach bei Machiavelli


Falls sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an Landesregierungen beteiligt, fordert BSW-Chefin Wagenknecht dafür als Vorbedingung, in die Präambel der jeweiligen Koalitionsverträge eine Aufforderung an die Bundesregierung hineinzuschreiben. "Wir werben dafür, den Ukraine-Krieg auf diplomatischem Weg zu beenden. Wir appellieren an die Bundesregierung, nicht weiter auf die militärische Karte und auf Waffenlieferungen zu setzen", soll etwa in Sachsen festgeschrieben werden. [1] Und nach kurzem Zögern haben Michael Kretschmer (CDU), Dietmar Woidke (SPD) und Mario Voigt (CDU) auch wie gewünscht geliefert. In einem gemeinsamen Gastbeitrag in der FAZ plädieren sie "für einen Waffenstillstand und Verhandlungen" zwischen der Ukraine und Russland. [2] Voilà, geht doch!

Das hat allerdings in Westdeutschland Verwunderung und Kritik ausgelöst, angeblich sei das ein Kotau vor Wagenknecht. Doch warum wundern wir uns eigentlich? Woidke, Kretschmer und Voigt wollen regieren. Wenn dabei eine völlig unverbindliche Willensbekundung hilfreich ist, wird es daran gewiss nicht scheitern. Niccolò Machiavelli hätte sicherlich keine Millisekunde gezögert, schließlich geht es darum, wer in den Landeshauptstädten das Sagen hat. Die Rechnung ist im Grunde ganz einfach: Das BSW wird zur Regierungsbildung gebraucht, ohne die neue Partei gäbe es weder in Thüringen noch in Sachsen oder Brandenburg eine stabile Regierungsmehrheit. Punkt. Machiavelli hätte das den drei Herren im 16. Jahrhundert ganz ohne Taschenrechner vorgerechnet. Ergebnis: Ihr habt keine andere Wahl. Ein gängiges Vorurteil lautet zwar, den Politikern gehe es nur um die Macht und weniger um Prinzipien, aber vielleicht ist das gar kein Vorurteil, sondern die bittere Realität. Jedenfalls immer noch besser, als der demokratiefeindlichen AfD eine Machtoption zu eröffnen. Man ist ja heutzutage schon mit Brosamen zufriedenzustellen.

Interessant ist auch die Entwicklung bei den Grünen. Nachdem sie bei den Wahlen krachend gescheitert sind und in der Ampel offenbar keine Perspektive mehr sehen, versuchen sie es eben mit der Union. Das eisige Gesicht von Annalena Baerbock beim Sondierungstreffen mit der Union nach der Bundestagswahl 2021? Vergessen! Zumindest scheint das der Kurs von Robert Habeck zu sein. Katrin Göring-Eckardt und die designierte Co-Parteivorsitzende Franziska Brantner weisen schon einmal vorsorglich darauf hin, "dass Schwarz-Grün in den Ländern gut regieren kann". [3] Kleine Einschränkung: Wenn man nicht so genau hinsieht. So hat etwa das seit 2011 von einem grünen Ministerpräsidenten regierte Baden-Württemberg beim Ausbau der Windenergie eine keineswegs berauschende Bilanz vorzuweisen. Im "Ländle" kamen zwischen Januar und August 2024 gerade einmal 14 Windkraftanlagen neu dazu. Sieht man von den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie dem kleinen Saarland ab, ist Baden-Württemberg bei der Anzahl der installierten Windkraftanlagen sogar Schlusslicht in Deutschland. [4] Unter Klimaschutzgesichtspunkten in der Tat eine recht dürftige Bilanz. Immerhin ist Winfried Kretschmann beliebt. Wenigstens das.

Aber egal, denn dass Schwarz-Grün in den Ländern gut regieren kann, bedeutet ja nicht, dass dabei aus der Sicht der grünen Stammwähler auch gute Ergebnisse herauskommen. Gerade bei den Grünen bekommt man seit Bildung der Ampelregierung ohnehin den Eindruck, Regieren sei bei ihnen mittlerweile Selbstzweck. Die FDP hat ihre roten Linien (keine Steuererhöhungen, Einhaltung der Schuldenbremse) erfolgreich verteidigt, während ausgerechnet die Umweltpartei das Klimaschutzgesetz preisgegeben hat. Auf die Antwort, was die Grünen im Bund mit der Union überhaupt umzusetzen gedenken, darf man daher gespannt sein. Die Grünen wollen anscheinend unbedingt regieren, aber wissen sie - abgesehen von den Posten und Pöstchen - auch, wozu? Meine Prognose: Habeck & Co. werden sich mit der Union schon irgendwie einigen, sofern das im Bundestag zur Regierungsbildung notwendig ist. Und spätestens dann wird auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder seine kategorische Ablehnung einer schwarz-grünen Koalition aufgeben. Schließlich geht es, schlag nach bei Machiavelli, um die Macht. Da muss und wird man flexibel sein. Das mag für viele ernüchternd klingen, aber so ist Politik.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 27.09.2024
[2] RND vom 04.10.2024
[3] tagesschau.de vom 05.10.2024
[4] Bundesnetzagentur vom 16.09.2024, Statistiken ausgewählter erneuerbarer Energieträger zur Stromerzeugung - August 2024, PDF-Datei mit 251 KB