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13. Oktober 2024, von Michael Schöfer
Von der Wahlpropaganda bitte nicht einlullen lassen


Die Bundestagswahl wirft ihre Schatten voraus. Und aufmerksame Wählerinnen und Wähler dürften sich bereits jetzt veräppelt vorkommen. Die oppositionelle Union ist angeblich so einig wie nie, CSU-Chef Markus Söder will sogar das Stänkern gegen Kanzlerkandidat Friedrich Merz unterlassen. Diesmal aber wirklich, bei allem, was ihm heilig ist. Was das sein könnte, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Bekanntlich versprach er das 2021 auch dem damaligen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, hat es aber zu dessen Leidwesen nicht eingehalten. Schauen wir mal, ob Söder sein übergroßes Ego tatsächlich im Zaum halten kann. Wetten würde ich darauf jedenfalls nicht.

Die Grünen versprechen, den Klimaschutz wieder mehr in den Mittelpunkt ihrer Politik zu rücken, denn es gebe kein drängenderes Thema als die Klimakrise. Großes Indianerehrenwort. Warum sie dann allerdings in der Ampelregierung der Aufweichung des Klimaschutzgesetzes zugestimmt haben, will sich selbst wohlmeinenden Beobachtern nicht so recht erschließen. War in der Migrationsdebatte genauso. Erst Maximalpositionen vertreten, anschließend peu à peu klein beigeben. Die Grünen erzählen ihren Anhängern offenbar nur das, was diese hören wollen. Häufig machen sie dann das Gegenteil. Ob die Anhänger erneut darauf hereinfallen, bleibt abzuwarten. Wetten würde ich darauf ebenso wenig.

Surprise, surprise: Die SPD blinkt mal wieder - wie so oft vor Wahlen - links, um anschließend rechts abzubiegen. Die SPD will zurück zu ihren Wurzeln, titelt tagesschau.de. Angeblich will sie Besserverdienende "etwas stärker in die Verantwortung" nehmen. Super! Nur dumm, dass sie 2016 gemeinsam mit der Union (Kabinett Merkel III) die "Verschonungsbedarfsprüfung" (§ 28a ErbStG) eingeführt hat, was für eine massive Entlastung der Besserverdienenden sorgte. Und zwar in Erbfällen oder beim Besitzübertrag durch Schenkungen. 2023 wurden Hochvermögenden Steuern in Höhe von insgesamt 2,127 Mrd. € erlassen. Eigentlich hätten sie 2,133 Mrd. Euro zahlen müssen, aber aufgrund der Verschonungsbedarfsprüfung mussten sie lediglich 6,28 Mio. Euro zahlen. Das ist ein Steuererlass von sage und schreibe 99,7 Prozent. [1]

Multimillionäre oder Milliardäre müssen sich vor dem Finanzamt bloß glaubhaft arm rechnen, was ihnen mithilfe von versierten Steuerberatern spielend leicht gelingt. Durchschnittsverdienern ist dieser Weg versperrt, weil die Verschonungsbedarfsprüfung erst ab einem begünstigten Vermögen (= Betriebsvermögen) von mehr als 26 Mio. Euro greift. Gift für die Steuergerechtigkeit: Würden Sie Ihrer Schwester ein Bankguthaben von 100.000 Euro schenken, müsste diese Schenkungssteuer in Höhe von 16.000 Euro entrichten (Steuersatz 20 %). Schenkt dagegen eine Unternehmenserbin ihrem mit ihr nicht verwandten Vorstandsvorsitzenden ein Aktienpaket im Wert von einer Milliarde Euro, muss dieser bei geschickter Vermögensgestaltung überhaupt keine Schenkungssteuer zahlen (effektiver Steuersatz 0 %). Steuerrechtlich betrachtet ist der Aktienmilliardär in diesem Fall eben nicht vermögend. Der SPD sei Dank.

Wenn man die Parteien nicht an ihren Absichten, sondern allein an ihren Taten misst, kann man die Politikverdrossenheit vieler Menschen nachvollziehen. In meinen Augen sind aber weder die AfD noch das BSW eine wählbare Alternative. Wen sollen sie stattdessen wählen? Vielleicht wird uns ja eine Kleinpartei wie beispielsweise Volt positiv überraschen, 2024 konnte Volt bei der Europawahl den Stimmenanteil gegenüber der vorherigen Wahl fast vervierfachen (von 0,7 % auf 2,6 %). Für Wählerinnen und Wähler, die von den Regierungsparteien genauso enttäuscht sind wie von der Opposition, finden hier eventuell eine neue politische Heimat. Sollten sie sich jedoch einmal mehr von der Wahlpropaganda einlullen lassen, wird sich hierzulande wohl nie etwas ändern.

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[1] Statistisches Bundesamt vom 16.07.2024, Steuererlasse nach der Verschonungsbedarfsprüfung § 28a ErbStG