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01. November 2024, von Michael Schöfer
Scheidungsantrag der FDP


Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat ein Positionspapier veröffentlicht, das man nur als Scheidungsantrag an die Ampelregierung verstehen kann. [1] Lindner fordert darin eine "grundlegende Revision politischer Leitentscheidungen". Das Papier hat es in mehrfacher Hinsicht in sich, weil die Forderungen des FDP-Chefs kaum mit den Vorstellungen seiner Koalitionspartner in Einklang zu bringen sind. Das 18-seitige Positionspapier ist zu umfangreich, um hier in der gebotenen Kürze behandelt zu werden, weshalb ich lediglich einige seiner umweltpolitischen Vorschläge herausgreife.

• Alle sektorbezogenen Emissionsziele sollen abgeschafft werden.

• Deutschland soll "auf europäischer Ebene insbesondere die Abschaffung der Regulierungen zur Energieeffizienz, Gebäudeenergieeffizienz und der Flottengrenzwerte durchsetzen".

• Den beschlossenen Kohleausstieg stellt Lindner ebenfalls infrage, der gesetzlich festgelegte Zeitpunkt für den Kohleausstieg sei "nicht notwendig".

• Das Förderprogramm Klimaschutzverträge, das Industrieunternehmen dabei unterstützt, in klimafreundliche Produktionsanlagen zu investieren, kann seiner Meinung nach entfallen.

• Die Förderung der Erneuerbaren Energien soll "in den nächsten Jahren auf Null abgesenkt werden".

• Auch den Klima- und Transformationsfonds (KTF) will er auflösen.

Vorschläge, die insbesondere für die Grünen unannehmbar erscheinen, denn die Umweltpartei hat sich in den bisherigen drei Ampeljahren bei ihren Anhängern ohnehin den Ruf von zu großer umweltpolitischer Nachgiebigkeit erarbeitet. Noch mehr Nachgiebigkeit dürfte sie ihren verbliebenen Stammwählern kaum verkaufen können, am wenigsten Lindners klimapolitische Rolle rückwärts.

Was mich besonders irritiert: Gerade gab es in Spanien eine verheerende Unwetterkatastrophe mit bislang schon mehr als 200 Todesopfern. Und das ist nur die jüngste Katastrophe dieses von großem Leid geprägten Jahres. Unlängst hinterließ der Hurrikan Debby in den USA eine Schneise der Zerstörung, anschließend war es der Hurrikan Helene. Was Klimaforscher seit langem vorhersagen, dass Wetteranomalien häufiger auftreten und intensiver ausfallen, bewahrheitet sich. Und das ist erst der Anfang, noch ist das Ganze vergleichsweise harmlos. Lindners Forderungen sind daher von erschreckender Ignoranz geprägt, denn sie würden den Klimawandel verstärken. Wie viele Wetterkatastrophen müssen eigentlich noch passieren, bis selbst Porsche-Fahrer Lindner umzudenken bereit ist? Wie blind darf man als Liberaler sein? Was er vorschlägt, ist absolut unverantwortlich.

Natürlich ist der ökologische Umbau einer Industriegesellschaft nicht einfach, die verlorenen Jahre unter der vermeintlichen "Klimakanzlerin" Angela Merkel haben das Ganze zudem viel aufwendiger und teurer gemacht. Aber mit einer Rolle rückwärts ist den Unternehmen keinesfalls geholfen. Im Gegenteil: Die FDP will etwa "das Verbrenner-Verbot endlich kippen". Doch wem würde die stark exportorientierte Automobilindustrie künftig Autos verkaufen, wenn fast überall nur noch Elektroautos zugelassen werden? Das Festhalten am überkommenen Verbrenner-Motor würde die deutschen Autobauer vollends in die Krise stürzen. Dass sie, anders als die Chinesen, keine preisgünstigen Elektroautos anbieten können, ist im Wesentlichen auf Managementversagen zurückzuführen. Und obendrein auf das Versagen der Politik, die sich oft genug auf europäischer Ebene für mildere Abgasgrenzwerte eingesetzt hat. So wurde ein politisch erzeugter Schonraum aufrechterhalten, der sich innovationsfeindlich ausgewirkt hat, weil sich die Autobauer lange Zeit weniger anstrengen mussten als die Konkurrenz. Genau das will die FDP anscheinend fortsetzen. Mit der Attitüde ökonomischer Besserwisser legt sie die Axt an die klimapolitische Transformation an. Welch ein Irrsinn!

Reisende soll man bekanntlich nicht aufhalten. Die FDP bereitet offenbar den Bruch der Koalition vor, um sich eine aus ihrer Sicht möglichst günstige Ausgangsposition für die vorgezogene Bundestagswahl zu verschaffen (falls es überhaupt zu vorgezogenen Wahlen kommt, was nicht sicher ist). Aktuell steht die FDP in Umfragen bei 4 Prozent und muss sich etwas einfallen lassen. Wahrscheinlich ist für die Liberalen ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende. Gleichwohl sprechen sie damit der Mehrheit der Bevölkerung aus der Seele, die diese dysfunktionale Bundesregierung ebenfalls gründlich satt hat. Was allerdings nicht heißt, dass es mit der Opposition besser laufen würde, diesbezüglich sind die Erwartungen der Wählerinnen und Wähler nämlich gering.

In jeglicher Hinsicht düstere Aussichten also, umso mehr wenn am 5. November zu allem Überfluss auch noch Donald Trump die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnen sollte. Falls sich dieser Alptraum bewahrheitet, wird das mutmaßliche Scheidungspapier des FDP-Vorsitzenden zweifellos unser geringstes Problem sein.

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[1] Tagesspiegel, "Wirtschaftswende Deutschland - Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit", PDF-Datei mit 639 KB