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| Impressum 04. November 2024, von Michael Schöfer Wahnsystem Ein kollektives Wahnsystem fällt uns in der Regel erst auf, wenn es kollabiert ist. Dann sind wir plötzlich bestürzt darüber, wie blöd wir gewesen sind. Wie konnten wir nur? Schuld, Scham und Verdrängung sind die Folge. Nehmen wir etwa die chinesische Kulturrevolution (1966-1976), selbst hierzulande schwärmten viele Studenten der 68er-Generation von Mao Tsetung und schwenkten enthusiastisch die sogenannte Mao-Bibel (das rote Buch der "Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung"). Dass die Kulturrevolution mit schweren Menschenrechtsverletzungen einherging - so what? Das Gleiche passierte während der Inquisition, als religiöser Wahn die christliche Botschaft der Nächstenliebe total verdrängte. Damals glaubten viele tatsächlich an die Existenz von Hexen, die mit dem Teufel im Bunde seien - mit allen daraus resultierenden Folgen, etwa grausame Folterpraktiken und zum Schluss die Verbrennung bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen. Auch der Verfolgungswahn der McCarthy-Ära in den fünfziger Jahren gehört dazu, als man überall die Unterwanderung durch Kommunisten an die Wand malte und jeder in Verdacht geraten konnte. In dieser Zeit wurden viele bürgerliche Existenzen vernichtet. Heute stehen wir abermals vor der Etablierung eines kollektiven Wahnsystems. Und es hat einen Namen: Donald Trump. Er lügt, er hetzt, er verstößt gegen das Gesetz, keine Niedertracht ist ihm fremd - und dennoch geben ihm viele Amerikaner ihre Stimme. Trump ist für sie, was Mao damals für viele 68er war: Ein Heilsbringer, der die Welt revolutioniert und dem Guten zum Durchbruch verhilft. Was auch immer das Gute konkret sein mag. Die Kosten fallen dabei leider unter den Tisch. Die Wahrheit beispielsweise, wahrscheinlich sogar die Demokratie in den Vereinigten Staaten. Das kann man momentan nur prognostizieren, weiß es allerdings noch nicht genau. Falls Donald Trump tatsächlich die Präsidentschaftswahl gewinnt, werden wir nach dem 20. Januar 2025, dem von der US-Verfassung festgelegten Termin der Amtsübergabe, schnell schlauer sein. Das, was man von ihm weiß, lässt jedenfalls das Schlimmste befürchten. Donald Trump sei ein Faschist, sagt zumindest John Kelly, Trumps früherer Stabschef. Nun, wir Deutschen wissen sehr gut, wozu Faschisten in der Lage sind. Morgen, am 5. November 2024, schlägt die Welt möglicherweise eine Richtung ein, die sie auf Jahre oder sogar auf Jahrzehnte hinaus prägen wird. Die nicht auszuschließende Wiederwahl Trumps wird zweifellos ein Ereignis sein, bei dem Historiker den Verlauf der Geschichte trennscharf in ein Davor und ein Danach einteilen können. Noch dürfen wir Hoffnung haben, dass die Wählerinnen und Wähler in den USA den wahnhaften Charakter des Trumpismus erkennen und ihm in allerletzter Sekunde eine Abfuhr erteilen. Doch es steht Spitz auf Knopf, die Chancen von Kamala Harris und Donald Trump auf den Wahlsieg stehen fifty-fifty. Die Prognose, wer von beiden im anachronistischen Electoral College auf die notwendige Stimmenzahl kommt, gleicht einem Lotteriespiel. Hoffen wir das Beste. |