Home
| Archiv | Leserbriefe
| Impressum 09. November 2024, von Michael Schöfer Jetzt bitte keine parteitaktischen Spielchen Dass die zuletzt dysfunktionale Ampelkoalition nun endlich am Ende ist, muss man nicht bedauern. Christian Lindners Absicht, mit seinem Positionspapier die Scheidung auszusprechen, ist aufgegangen. Dem FDP-Chef darf unterstellt werden, dass ihm von vornherein klar war, wie wenig konsensfähig seine Vorschläge sind (weg mit dem Klimaschutz, Entlastung für die Reichen, Sparen bei den Armen). Gut, dass Olaf Scholz endlich die Reißleine bezogen hat. Doch jetzt gibt es noch ein paar Dinge zu beachten bzw. eine Aufgabe zu erledigen. Die Bundeswahlleiterin hat bereits vor einem Wahltermin im Januar oder Februar gewarnt, eine Neuwahl zu diesem Zeitpunkt sei mit Risiken verbunden. "Termine und Fristen, die in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen würden, könnten zu Problemen führen, etwa auf Gemeideebene. Sie mahnte, es könne dazu kommen, dass Wahlvorschläge nicht zugelassen würden. Die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Wahl sei essenziell für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie." [1] Angesichts dessen verwundert es schon, wie heftig die Union trotzdem auf eine Neuwahl am 19. Januar 2025 drängt. In Sonntagsreden betonen alle immer wieder: "Erst das Land, dann die Partei, dann die Person." Doch wenn es ernst wird, spielt das Land plötzlich keine Rolle mehr. Oder bloß noch als Phrase, d.h. als Mittel zum Zweck. Außerdem sollte man Folgendes beachten: Es gilt das Grundgesetz. Bei einer Neuwahl am 19. Januar findet der Wahlkampf künftig immer in der Weihnachtszeit statt. Die reguläre Neuwahl des Bundestages muss nämlich laut Verfassung "frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode" erfolgen (Artikel 39 GG). Die Wahlperiode beginnt mit dem Zusammentritt des Bundestages, der "spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl" stattfindet. Bei der Bundestagswahl 2021 wurde diese Frist voll ausgeschöpft: Wahltermin 26. September 2021, konstituierende Sitzung 26. Oktober 2021. (Die Regierungsbildung ist davon losgelöst und nicht an Fristen gebunden.) Bei einer Neuwahl am 19. Januar 2025 bedeutet das, der 21. Deutsche Bundestag müsste sich spätestens am 18. Februar 2025 (30 Tage nach der Wahl) konstituieren. Und die darauffolgende Bundestagswahl muss dann laut Grundgesetz zwischen dem 18. Dezember 2028 (46 Monate nach Beginn der Wahlperiode) und dem 18. Februar 2029 (48 Monate nach Beginn der Wahlperiode) erfolgen. O du fröhliche Wahlkampfzeit! Wollen wir das? Man kann sich zwar durch geschickte Terminplanung peu à peu herausarbeiten, aber das dauert. Was ist, insbesondere unter Berücksichtigung der Warnung der Bundeswahlleiterin, so schlimm daran, wenn die Vertrauensfrage erst im Januar gestellt wird und wir daher erst im März wählen? Klar, Friedrich Merz will jetzt ganz schnell Kanzler werden, aber ist das ein wichtiger Grund? Da ohnehin unklar ist, ob es nach der Neuwahl überhaupt zur gewünschten stabilen Regierung kommt, die Mehrheit könnte nicht zur Bildung einer Groko ausreichen, was abermals ein Dreierbündnis notwendig macht, erscheint mir der egoistische Wunsch von Merz irrelevant. Es gilt vielmehr: Erst das Land, dann die Partei, dann die Person! Die der Bundesregierung unterstellten Behörden funktionieren ja unabhängig von der Auflösung der Ampel weiter. Und es gibt noch ein wichtiges Projekt, das unbedingt vor der Wahl angepackt werden muss: die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz. Dafür braucht man im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die aber nach der Neuwahl schwer zu bekommen sein dürfte, denn es ist den aktuellen Umfragen zufolge fraglich, ob das demokratische Spektrum dann noch so stark ist. Falls es die rot-grüne Minderheitsregierung und die Opposition (CDU, CSU, FDP) bis zur Auflösung des Bundestages nicht hinbekommen, diese Absicherung zu beschließen, bleibt das Bundesverfassungsgericht verwundbar. Mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Das ist riskant, denn nahezu alle Experten waren sich einig darüber, welche Bedeutung dieser Schutz für den Erhalt der Demokratie hat. Ich kann nur an alle demokratischen Parteien appellieren, dass sie sich besinnen und aus Verantwortung für das Land parteitaktische Spielchen unterlassen. ----------
[1] tagesschau.de vom 09.11.2024
|