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13. Dezember 2024, von Michael Schöfer
Feiglinge


Wir leben ja angeblich in postheroischen Zeiten, d.h. die Orientierung an Helden ist endgültig vorbei. Zumindest außerhalb des Kinos. Natürlich ist es einerseits gut, wenn das Heldentum früherer Tage passé ist, weil wir - gerade in Deutschland - mit der Verklärung des Militarismus denkbar schlechte Erfahrungen gemacht haben. Andererseits darf der Postheroismus nicht dazu führen, dass wir uns im Bedarfsfall nicht mehr gegen militärische Übergriffe wehren können. Wie der Ukraine-Krieg belegt, ist das weiterhin notwendig. Ob man das wie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius als "kriegstüchtig" bezeichnet oder "abwehrbereit" nennt, ist im Grunde egal, weil es im Ergebnis auf das Gleiche hinausläuft. Stichwort: Resilienz der Gesellschaft.

In etlichen Ländern, überwiegend außerhalb des Westens, inszenieren sich jedoch Politiker nach wie vor gerne als Helden, das Paradebeispiel ist wohl der mit nacktem Oberkörper durch die Wildnis reitende russische Diktator Wladimir Putin. Das beeindruckt aber nur schlichtere Gemüter, von denen es allerdings noch mehr als genug gibt. Doch die nahezu vergötterten Helden sind mehr Schein als Sein. "Mit unserer Seele, unserem Blut opfern wir uns für dich, Baschar", ließ Assad seine Anhänger skandieren. Er selbst entpuppte sich dann als Feigling, flüchtete ins sichere Exil nach Russland anstatt sich in Syrien der Verantwortung für seine Schandtaten zu stellen. Banale Erkenntnis: Den Blutzoll sollen stets andere entrichten. Und die scheinbar starken Männer sind in Wahrheit lediglich arme Würstchen.

Das war einmal ganz anders. Gaius Julius Caesar ritt beim gallischen Krieg noch höchstpersönlich mit, auch Napoleon Bonaparte hat beim Russlandfeldzug mitgefroren, obgleich er sich auf dem Rückzug vorzeitig nach Paris absetzte und den kläglichen Rest der Grande Armée im Stich ließ. 1759 wurden Friedrich dem Großen in der Schlacht bei Kunersdorf zwei Pferde unter dem Sattel weggeschossen, eine Tabaksdose in der Brusttasche seiner Uniform rettete dem Preußenkönig sogar das Leben, als eine feindliche Kugel auf ihn abgefeuert wurde. Manche äußern freilich Zweifel, halten die von der Kugel getroffene Tabaksdose für eine inszenierte Heldengeschichte. Wie dem auch sei, jedenfalls war der Alte Fritz tatsächlich vor Ort.

Was man von Wladimir Putin nicht behaupten kann. Seine Soldaten verrecken zu Tausenden, aber der ängstliche Herrscher hält aus Angst vor dem Corona-Virus Besucher auf Abstand. Typisch für Diktatoren: Andere sollen den Kopf riskieren und die Drecksarbeit erledigen, während sich die Angsthasen in den Regierungszentralen verschanzen und ständig Sorgen um ihr erbärmliches Leben machen. Dabei ist ihnen durchaus bewusst, dass sie Unrecht tun, denn andernfalls könnten sie ganz offen sagen: "Ja, ich begehe Kriegsverbrechen. Ja, ich lasse foltern und morden." Aber so heldenhaft sind sie nun auch wieder nicht.

Postheroisch sind in Wahrheit die, die ins Flugzeug steigen und abhauen, sobald es brenzlig wird. In unserer Zeit sticht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj positiv heraus, der nach dem Beginn der russischen Invasion auf das Angebot der Amerikaner, ihn außer Landes zu bringen, erwiderte: "Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit." Mit seiner Flucht wäre vermutlich auch der Widerstand der Ukraine rasch zusammengebrochen. Putin ging wohl davon aus, dass Selenskyj genauso ängstlich ist wie er selbst. Tja, so kann man sich verrechnen.