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| Archiv | Impressum 05. Januar 2025, von Michael Schöfer Wien ist Weimar Dieses Wochenende hat es wahrlich in sich. Am 3. Januar haben in Österreich die liberalen NEOS die Koalitionsverhandlungen über ein Dreierbündnis mit der ÖVP und der SPÖ platzen lassen. Am 4. Januar hat dann wiederum die ÖVP die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ für gescheitert erklärt, Bundeskanzler Karl Nehammer kündigte seinen Rücktritt an und gab sein Amt als Parteivorsitzender auf. ÖVP und SPD hätten im Nationalrat auch nach dem Ausstieg der NEOS eine, wenngleich hauchdünne Mehrheit von einer Stimme gehabt. Das ist eine Bankrotterklärung der demokratischen Parteien, die offenkundig das Gemeinwohl aus dem Blick verloren haben, weil sie sich bei Sachfragen nicht einigen wollten. Angeblich gab es unüberbrückbare Differenzen über die Wirtschafts- und Steuerpolitik. Unfassbar! Wien ist Weimar. Nun wird vielleicht der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl Bundeskanzler, jedenfalls verdichten sich dahingehend die Gerüchte. 28,85 Prozent bekam die FPÖ bei der letzten Nationalratswahl im Jahr 2024. Das heißt im Umkehrschluss, 71,15 Prozent wollten explizit keinen "Volkskanzler" Kickl. Es ist ungeheuerlich, dass diese 71,15 Prozent jetzt dennoch aufgedrückt bekommen, was sie im September 2024 an der Wahlurne noch ablehnten. Bloß
zur Erinnerung: Am 18.12.2017 wurde Kickl Innenminister, am
28.02.2018 wurden die Räumlichkeiten beim Bundesamt für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und verschiedene
Privatwohnungen von Mitarbeitern durchsucht. [1] Das BVT galt
anschließend mit gutem Grund bei anderen westlichen Diensten
als nicht mehr vertrauenswürdig. Schlagzeile bei FPÖ TV vom
14.09.2024 auf YouTube: "So will Kickl aufräumen" und
"So geben wir dem Volk die Macht zurück!" Man muss befürchten,
dass Herbert Kickl genau das wahrmacht.
Soll tatsächlich ausgerechnet Kickl, der sich selbst als Demokrat bezeichnet, aber mit den rechtsextremen "Identitären" sympathisiert, Kanzler werden? Für Beobachter ist Kickl ein Rechtsextremist. "Ich will ein freiheitlicher Volkskanzler sein statt Kanzler des Systems", sagt dagegen der FPÖ-Vorsitzende. "Im Duden des Jahres 1941 ist unter 'Volkskanzler' zu lesen: 'Bezeichnung für Hitler zum Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer'." [2] Rechte suggerieren bekanntlich, sie würden die Interessen "des Volkes" vertreten, lassen dabei allerdings geflissentlich außer Acht, dass es kein homogenes Volk gibt - weder biologisch, ökonomisch noch politisch. Nur in der Propaganda haben alle die gleichen Interessen. Eine pluralistische Gesellschaft passt eben nicht ins rechte Weltbild. Und wir wissen ja aus Erfahrung, was Rechte mit Andersdenkenden machen bzw. gerne machen würden. Jetzt heulen bestimmt nicht nur bei mir die Alarmsirenen. ----------
[1]
Wikipedia,
BVT-Affäre
[2] Der Standard vom 30.11.2023
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