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| Archiv | Impressum 06. Januar 2025, von Michael Schöfer Die Union will kein Steigbügelhalter sein, macht aber alles dafür Über das, was CDU und CSU derzeit abliefern, kann man bloß noch fassungslos den Kopf schütteln. In Österreich wird die rechtspopulistische, zumindest in Teilen rechtsextreme FPÖ vielleicht erstmals den Bundeskanzler stellen, doch die Union scheint daraus die falschen Schlüsse zu ziehen. CSU-Chef Markus Söder will nicht "Steigbügelhalter werden für irgendwelche Populisten. Sondern wir wollen den Richtungswechsel und den Politikwechsel selbst organisieren." Es sei ein "Warnsignal, dass der Politikwechsel den Parteien der Mitte nicht gelungen ist", meint auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. [1] Das, was Söder und Dobrindt als "Richtungswechsel" und "Politikwechsel" verniedlichen, ist nichts anderes als die Übernahme von Forderungen der AfD. Ob man die ausgerechnet dadurch kleinhalten kann, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Hierzulande leben immerhin 2,9 Millionen Deutsche, die noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Eigentlich dürfte keiner davon bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 die Union wählen, denn Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) will sie faktisch zu Bürgern zweiter Klasse machen. Er fordert nämlich, straffällig gewordenen Doppelstaatlern die deutsche Staatsangehörigkeit wieder entziehen. [2] Ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft stünde künftig unter Vorbehalt, und im Zweifelsfall würde ihnen sogar die Ausweisung drohen - selbst wenn sie in Deutschland geboren sind und andere Länder nur vom Urlaub her kennen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will Ausländer nach zwei Straftaten ausweisen. "Nach einem Warnschuss muss in Zukunft bei der zweiten vorsätzlichen Straftat das Aufenthaltsrecht zwingend erlöschen. Wer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, egal wie lange oder ob auf Bewährung, muss in Zukunft zwingend sein Aufenthaltsrecht verlieren." [3] Das soll beispielsweise bei Diebstahlsdelikten gelten. Linnemann macht keinen Unterschied zwischen Vergehen (Mindeststrafe unter einem Jahr) und Verbrechen (Mindeststrafe ein Jahr). Das könnte heißen: Zwei kleine Ladendiebstähle und du bist raus! Ob das auch gelten soll, wenn dadurch Familien auseinandergerissen werden, ist offen. "Wir ändern das Recht so, dass jeder ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder im Anschluss an seine Haft in zeitlich unbegrenzten Ausreisearrest genommen werden kann, bis er freiwillig ausreist oder die zwangsweise Abschiebung gelingt", steht auf Seite 41 des Wahlprogrammentwurfs von CDU und CSU. Wer "aus einem anderen Mitgliedstaat der EU oder dem Schengen-Raum nach Deutschland einreisen und bei uns einen Asylantrag stellen" will, soll an den Grenzen zurückgewiesen werden. [4] Was davon überhaupt realisiert werden kann, ohne sich zugleich vom EU-Recht und dem Völkerrecht zu verabschieden, lässt die Union freilich unbeantwortet. Aber man kann ja trotzdem mal fordern... Unrealistische Forderungen hinauszuposaunen, bloß um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist marktschreierisches Verhalten, aber keine ernstzunehmende Politik. Dieses Verhalten ist vielmehr extrem gefährlich, weil es die Wähler der Union geradezu in die Arme der Rechtspopulisten treiben könnte. Motto: Lieber das Original wählen. Es droht also genau das Gegenteil dessen einzutreten, was die Union anscheinend damit bezwecken will. Es gibt natürlich auch noch eine andere Möglichkeit: Dass die Union mittlerweile selbst schon weit nach rechts gerückt ist und diese Ziele zu ihrer Überzeugung gehören. Das Gros des politischen Spektrums scheint ohnehin in diese Richtung zu streben. Das mit dem Steigbügelhalter könnte also durchaus noch auf Markus Söder zukommen, zumal der bayerische Ministerpräsident für seine große Wendigkeit bekannt ist. Die Hand würde ich für ihn jedenfalls nicht ins Feuer legen. Ernsthafte Politik wäre der Versuch, die wirklichen Probleme der Menschen zu lösen, etwa die Wohnungsnot und die stark steigenden Mieten. Dazu findet man im Wahlprogramm der Union aber leider nicht allzu viel, gerade einmal knapp eineinhalb von insgesamt 79 Seiten (siehe Seite 70f). Und das, was dort steht, ist ein Mix aus altbekannten, aber erwiesenermaßen unwirksamen Rezepten sowie abgedroschen Phrasen. Angesichts des Riesenproblems ziemlich dünn. Damit will Friedrich Merz seinen Anspruch auf die Kanzlerschaft untermauern? Logisch, dass er davon mit rechtspopulistischen Forderungen ablenken muss. Doch das ist ein hochriskantes Spiel, welches nach hinten losgehen könnte. Die entscheidende Frage ist indes: Haben die Konservativen aus Weimar nichts gelernt? Damals haben sie kläglich versagt und endeten als Steigbügelhalter der Nazis. ----------
[1]
tagesschau.de vom 06.01.2025
[2]
tagesschau.de vom 06.01.2025
[3]
ZDF vom 30.12.2024
[4] CDU, Politikwechsel für Deutschland,
Gemeinsames Wahlprogramm von CDU und CSU, PDF-Datei mit 1 MB
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