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31. Januar 2025, von Michael Schöfer
Wer die AfD verhindern will, darf nicht CDU/CSU wählen!


Die Absicht von Friedrich Merz, den Wählerzuspruch zur AfD zu halbieren, nimmt bizarre Züge an. Seine verbalen Angriffe in den zurückliegenden Wochen auf Migranten gingen deutlich über die Schmerzgrenze hinaus. Die Hetze der AfD zu übernehmen, um ihr Stimmen abzuluchsen, geht vermutlich nach hinten los, denn erfahrungsgemäß wählen die Menschen dann eher das Original und weniger die Kopie.

Und nun das, der - im negativen Sinne - vorläufige Höhepunkt des Wahlkampfs: Die gemeinsame Abstimmung von CDU/CSU und AfD am 29. Januar. Sie war obendrein für die Katz, weil rechtlich nicht bindend. Aber sie hat zumindest gezeigt, was die Brandmauer des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz wert ist - nämlich nichts. Sogar Angela Merkel hat sich davon öffentlich distanziert. Was hat Merz bloß geritten, völlig ohne Not seine Zusage zu brechen? Dass SPD und Grüne keinen Regelungen zustimmen würden, die gegen geltendes Recht verstoßen, hätte er sich vorher denken können, schließlich ist er Jurist. Die Regierung ist an Recht und Gesetz gebunden, das nennt man Rechtsstaatsprinzip (vgl. Artikel 20 Abs. 3 GG). Eigentlich müsste das jeder Kanzlerkandidat wissen und beherzigen.

Den Notstand oder die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, den er herbeiredet, gibt es nicht. 2023 gab es in Deutschland der Kriminalstatistik des BKA zufolge 3.083 Straftaten gegen das Leben. Daten für 2024 liegen noch nicht vor. Die Häufigkeitszahl (Taten pro 100.000 Einwohner) lag bei 3,7, in den vergangenen 40 Jahren war sie nur ein einziges Mal niedriger: 2021 mit 3,6. In der Regierungszeit Helmut Kohls war sie jedoch deutlich höher und erreichte 1993 sogar 6,3 (5.140 Straftaten gegen das Leben). [1] Wer die Fakten nicht kennt oder sie dem Blatt mit den großen Buchstaben entnimmt, sollte nicht Kanzler werden. Das soll das Entsetzen über die fürchterlichen und aufsehenerregenden Anschläge keineswegs mindern, aber stimmt die Bedrohungswahrnehmung mit der tatsächlich vorhandenen Bedrohungslage überein? Die Kriminalstatistik 2024 wird es zeigen.

Der Schuss ging offenkundig nach hinten los, denn obwohl CDU/CSU und AfD heute abermals gemeinsam stimmten, wurde der Gesetzentwurf zum "Zustrombegrenzungsgesetz" mehrheitlich abgelehnt. Was für ein Debakel für Merz. War das für ihn der Laschet-Moment dieses Winterwahlkampfes? Egal, jedenfalls steht eine Lehre aus den beiden Abstimmungen dieser Woche fest: Wer die AfD verhindern will, darf nicht CDU/CSU wählen!

Man stelle sich vor, beide hätten im Bundestag gemeinsam eine Mehrheit. Friedrich Merz sagt zwar, dass er niemals mit der AfD koalieren wird, aber im November hat er im Deutschen Bundestag SPD und Grünen auch versprochen, dass "weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt". [2]

Trotzdem ist es zweieinhalb Monate danach passiert. Dieser Mann ist total unglaubwürdig. In einer Woche so viel politisches Porzellan zu zerschlagen, ist echt bemerkenswert. Was für ein Dilettant. Angela Merkel wird schon gewusst haben, warum sie ihn 2002 geschasst hat. Und vermutlich nicht ohne Grund ist Friedrich Merz zweimal (2018 und 2021) bei der Wahl zum CDU-Vorsitzenden gescheitert. Ob die CDU zur Besinnung kommt und merkt, auf welch abschüssige Bahn sie sich unter der Führung von Merz begeben hat?

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[1] BKA, Zeitreihe T01 Grundtabelle - Fälle nach 1987, Excel-Datei mit 1,3 MB
[2] Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 20/199 vom 13.11.2024, Seite 25830, PDF-Datei mit 1,3 MB, Hervorhebung durch den Autor