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| Archiv | Impressum 11. Februar 2025, von Michael Schöfer Erdgasnetz stilllegen - das sagt sich so leicht Die Mannheimer MVV Energie AG plant, ihr Erdgasnetz spätestens im Jahr 2035 stillzulegen, was hier - gelinde gesagt - auf ebenso große Verwunderung wie Missfallen gestoßen ist. Die Quadratestadt will damit Vorreiterin der Wärmewende werden. Super! Auch wenn man grundsätzlich anerkennt, dass gerade im Gebäudebereich potenziell noch viel CO2 einzusparen ist, sollte man doch realistisch bleiben und insbesondere die sozialen Folgen für die Betroffenen berücksichtigen. Beim Vorhaben der MVV ist das in meinen Augen nicht der Fall, die Ängste vor finanzieller Überforderung sind keineswegs unbegründet. Allein in Mannheim sind laut Presse rund 24.400 Haushalte betroffen, im gesamten Versorgungsgebiet (Mannheim plus diverse Umlandgemeinden) sind es 56.000. Ich bin ebenfalls dabei. Seit Jahrzehnten wohne ich in einem in den sechziger Jahren gebauten Mehrfamilienhaus (10 Mietparteien) mit Gaseinzelöfen. In unserer Straße liegt zwar bereits eine Fernwärmeleitung, doch der Aufwand der Umstellung ist gewaltig. Es müssten nämlich im Haus nicht nur neue Heizungen mit den dazugehörenden Rohren eingebaut werden, es ist darüber hinaus auch die gesamte Wasserversorgungsinstallation zu erneuern. Da das Warmwasser bislang in jeder Wohnung von einem Gasdurchlauferhitzer erzeugt wird, ist zusätzlich zum vorhandenen Kaltwasserverteilnetz zwingend ein Warmwasserverteilnetz einzubauen. Das bedeutet, dass die Handwerker im ganzen Haus vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss in jeder einzelnen Wohnung die Wände aufklopfen müssen. Ob die Wohnungen in dieser Zeit überhaupt bewohnbar sind, ist fraglich. Doch wohin? Natürlich darf man die klimabedingten Ziele keinesfalls ignorieren, dennoch muss die Umstellung für den Bürger bezahlbar bleiben. Mannheim hat laut einer Studie des WSI der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2022 in Baden-Württemberg von allen Städten und Landkreisen im statistischen Schnitt das niedrigste verfügbare Pro-Kopf-Einkommen, es trifft die Menschen hier in der Region also ganz besonders. Wenn mein Vermieter das Haus zusätzlich zur Heizungsumstellung energetisch saniert, darf er dafür nach dem aktuellen Gebäudeenergiegesetz (vulgo Heizungsgesetz) maximal 3 Euro pro Quadratmeter mehr Miete verlangen. In meinem Fall würde das eine Mieterhöhung von monatlich 192 Euro bedeuten (64 Quadratmeter x 3 Euro). Die Deckelung der Mieterhöhung gilt aber nur für sechs Jahre, danach könnten unter Umständen weitere Mieterhöhungen auf die Mieter zukommen. Und das dauerhaft bis zu Beendigung des Mietverhältnisses. All das kommt zu den ohnehin steigenden Miet- und Mietnebenkosten hinzu (laut Mietspiegel ist die ortsübliche Vergleichsmiete in Mannheim in den letzten zwei Jahren im Schnitt um 8,4 % gestiegen). Als Rentner sehe ich dem mit großer Sorge entgegen. Bezahlbarer Wohnraum steht aber für einen Umzug praktisch nicht zur Verfügung, wahrscheinlich müsste ich selbst bei einem Umzug in eine kleinere Wohnung deutlich mehr Miete zahlen als jetzt. Sofern man eine bekommt. Wo soll das hinführen? Dafür, was wie angerechnet werden darf, braucht man als Mieter obendrein rechtliche Beratung, denn für juristische Laien sind die komplizierten Regelungen des 89 Seiten umfassenden Gebäudeenergiegesetzes kaum zu verstehen. Noch ein letzter Aspekt: Wenn allein in Mannheim rund 24.400 Haushalte betroffen sind, müsste man ab sofort in jedem Monat rechnerisch 203 Haushalte umstellen (24.400 Haushalte : 120 Monate). Und das bis 2035 konsequent ohne Unterbrechung durchhalten. Von den Kosten einmal ganz abgesehen: Ich frage mich, ob es angesichts der aufwendigen Arbeiten überhaupt genug Fachkräfte und Handwerksbetriebe gibt, die das stemmen können. Die Pläne der MVV erscheinen mir vor diesem Hintergrund doch sehr ambitioniert. Gewiss, der CO2-Preis steigt ebenfalls und macht das Heizen mit Gas zunehmend unattraktiv, aber wenn die Mieter bloß noch die Alternative haben, entweder viel Geld fürs Heizen oder - trotz Förderung - viel Geld für die Monatsmiete auszugeben, läuft etwas gründlich schief. |