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22. Februar 2025, von Michael Schöfer
The biggest loser of all time


Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist Donald Trump insgeheim tatsächlich ein - eigenen Angaben zufolge - "stabiles Genie" und hält nur seine Wähler für total bescheuert, weshalb er ihnen in der Öffentlichkeit ständig den Trottel vorspielt. Oder er ist wirklich ein Trottel und glaubt allen Ernstes, dass Strohhalme aus Papier explodieren. Im erstgenannten Fall hätte Trump zweifelsohne den Oscar für die beste schauspielerische Leistung der Weltgeschichte verdient, daher ist meines Erachtens der zweitgenannte Fall der wahrscheinlichere und ehrlich gesagt auch der viel, viel schlimmere, denn wer will schon im Oval Office einen Trottel sitzen sehen. Abgesehen von den 77 Millionen Amerikanern, die ihn am 5. November 2024 gewählt haben, doch die waren bedauerlicherweise ausschlaggebend.

Kein Witz: Der offizielle Account des Weißen Hauses auf X verbreitete vor kurzem ein KI-generiertes Bild von Donald Trump als König. Das ist vollkommen irre und widerspricht fundamental dem Gründungsmythos der USA, schließlich lösten sich die damaligen britischen Kolonien gerade deshalb vom Mutterland, weil sie eine Republik gründen und den König endgültig loswerden wollten. Ob nun auch die Unabhängigkeitserklärung verbrannt wird, hat das Weiße Haus allerdings nicht mitgeteilt. Long live King Donald I. So reiht sich nahezu ohne Unterlass ein Irrsinn an den anderen.


Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten ist erst seit fünf Wochen im Amt, dennoch erleben wir bereits einen atemberaubenden, vorher für unmöglich gehaltenen Zerfall des Westens. Die Nato? Faktisch tot. Der Welthandel und damit der wirtschaftliche Wohlstand? Massiv bedroht. Wir erleben jetzt vielleicht das Gleiche wie die kommunistische Welt im Jahr 1989 - den abrupten Kollaps eines ganzen Gesellschaftssystems, das an seinen inneren Widersprüchen zerbricht. In erster Linie steht natürlich die Demokratie in den USA unter Beschuss. Donald Trump könnte als US-Präsident in die Geschichtsbücher eingehen, der alles leichtfertig verspielte. Geht es in diesem Tempo so weiter, werden die USA am Ende seiner Amtszeit ohne Verbündete dastehen, Trump wäre dann in der Tat "the biggest loser of all time". Xi Jinping und Wladimir Putin dagegen könnten selbst das gewinnen, was ihnen in ihren kühnsten Träumen als vollkommen unrealistisch erschien. Die Demokratie droht weltweit zwischen einem Dreigestirn skrupelloser Autokraten zerrieben zu werden. Der große Republikaner Abraham Lincoln ("...dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge") dreht sich bestimmt im Grab herum.

Die Europäer (allein die EU hat fast 450 Mio. Einwohner und ein Bruttoinlandsprodukt so groß wie das von China) haben nur eine einzige Chance: Sie müssen sich zusammenraufen und darauf hinarbeiten, ihren Kontinent allein zu verteidigen. Notfalls ohne jegliche Hilfe von außen und gegen jede denkbare Bedrohung von außen. Dazu ist eine europäische Armee unter einheitlichem Oberbefehl und mit standardisierter (europäischer) Bewaffnung unumgänglich. Das setzt allerdings eine tiefgreifende Reform der politischen Institutionen voraus, die konsequenterweise in die Vereinigten Staaten von Europa münden muss. Gewiss, das war bislang höchst unwahrscheinlich, doch ohne eine solche Reform gehen die Europäer sang- und klanglos unter, am Ende werden sie sich bestenfalls als unterwürfige Vasallen des Kremlherrschers wiederfinden. Es heißt immer, die Politiker hätten den Schuss nicht gehört. Stimmt nicht, denn in Wahrheit haben sie eine ganze Salve von Schüssen überhört. Spätestens mit dem Beginn des Ukraine-Krieges hätten sie aufwachen müssen, aber es wurde wie gehabt viel geredet und wenig gehandelt. Doch Apathie, nationale Egoismen und Alleingänge können wir uns nicht mehr erlauben. Wer das noch immer nicht kapiert, dem ist nicht mehr zu helfen.