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| Archiv | Impressum 24. Februar 2025, von Michael Schöfer Startet Friedrich Merz mit einem Wahlbetrug? Unglaublich: Friedrich Merz startet womöglich unmittelbar nach der Bundestagswahl mit einem Wahlbetrug. Kleine Rückblende: Als das Bundesverfassungsgericht im November 2023 das Nachtragshaushaltsgesetz der Ampelregierung (SPD, FDP, Grüne) einkassierte, weil es gegen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verstieß, jubelte die Union unüberhörbar. Geklagt hatten nämlich Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Doch man prophezeite ihr schon damals, dass dies ein Pyrrhussieg sei, der später einem möglichen Kanzler Merz noch heftig auf die Füße fallen werde, weil er dann den gleichen Haushaltszwängen unterworfen wäre, die die Ampelregierung quälten. Ob es nach der nächsten Bundestagswahl überhaupt noch eine parlamentarische Mehrheit für die Reform der Schuldenbremse geben werde, sei fraglich. Da jedoch die Niederlage beim Bundesverfassungsgericht der Anfang vom Ende der Ampel war, wischte die Union solche Bedenken unbekümmert beiseite. Anregungen seitens der SPD und den Grünen, die Schuldenbremse möglichst zeitnah zu reformieren, blockte Friedrich Merz seinerzeit konsequent ab. Gewiss, es ist nicht Aufgabe der größten Oppositionspartei, der Regierung aus einer Verlegenheit herauszuhelfen. Vor allem nicht, wenn die Hilfe gegen die eigenen Prinzipien verstößt. Sozialdemokraten und Grüne seien unverantwortliche Schuldenmacher, behauptete die Union, sie selbst sei dagegen der Garant finanzpolitischer Vernunft: "Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen", steht auf Seite 8 des gemeinsamen Wahlprogramms von CDU und CSU. [1] Zwei Wochen vor der Bundestagswahl versicherte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Haushalt in der Unionsfraktion, Christian Haase (CDU): "Eine Lockerung der Schuldenbremse ist für die Bundes-CDU und die Unionsfraktion kein Thema." Friedrich Merz war nach dem ersten TV-Duell mit Olaf Scholz wegen missverständlichen Äußerungen um Klarstellung bemüht: "Ich schließe nicht aus, dass man über so ein Thema mal redet." Aber: "Ich sehe im Augenblick keinen Diskussionsbedarf." [2] So weit, so nachvollziehbar. Nur kann eben selbst Friedrich Merz nicht die Mathematik betrügen, auch bei der Union sind eins plus eins stets zwei. Wenn er die Quadratur des Kreises hinbekäme (höhere Verteidigungsausgaben, mehr Investitionen, Steuersenkungen für Unternehmen und Bürger, Einhaltung der Schuldenbremse), würde er sicherlich den Nobelpreis für Mathematik bekommen, falls es einen solchen gäbe. Kritiker unterstellten, die Union mache Wahlversprechen im Umfang von 100 Milliarden Euro, ohne den Wählerinnen und Wählern zu sagen, woher das dafür notwendige Geld kommt. Sogar das als arbeitgebernah geltende Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sah bei der Union eine ungeklärte Deckungslücke in Höhe von 89 Milliarden Euro. [3] Vermutlich ist Friedrich Merz spätestens am Wahlabend aufgefallen, dass demnächst tatsächlich etwas auf ihn zukommt. In diesem Zusammenhang sind zwei Zahlen besonders wichtig:
Die Süddeutsche meldet nun, dass Friedrich Merz auf Vorschlag der Grünen erwägt, die Schuldenbremse noch vor Ablauf der aktuellen Legislaturperiode vom alten Bundestag beschließen zu lassen. Die 20. Legislaturperiode endet laut Grundgesetz erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages, d.h. spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl (das ist diesmal der 25. März 2025). Bis dahin gelten die bisherigen Mehrheitsverhältnisse. Union, SPD und Grüne könnten jetzt noch schnell das Grundgesetz ändern, ohne dass eine Sperrminorität von AfD und Linken zum Tragen kommt. "'Bevor ich darüber öffentlich spekuliere, erlauben Sie, dass ich darüber erst mal mit den Sozialdemokraten, der FDP und auch den Grünen in den nächsten Tagen spreche', sagt der CDU-Chef, als er am frühen Nachmittag in einer Pressekonferenz auf die Sperrminorität angesprochen wird. 'Wir wissen alle, dass die Bundeswehr in den nächsten Jahren sehr viel mehr Geld braucht.'" [4] Ach, plötzlich geht es doch? So schnell werden Wahlversprechen hinfällig, sogar schon vor der Regierungsübernahme. Zweifelsohne rekordverdächtig! Und so viel zum Vertrauen in die Aussagen von Politikern. Inhaltlich gebe ich den Grünen ja recht, doch Merz hätte das schon viel früher haben können, streute aber den Wählerinnen und Wählern aus wahltaktischen Gründen lieber Sand in die Augen. Die dürften sich deshalb veräppelt vorkommen. Ätsch, ätsch, liebe CDU-Wähler, das hättet ihr halt am Wahltag wissen müssen. Habt ihr aber nicht. Heute lautet das Motto des CDU-Vorsitzenden: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Meiner Meinung nach ist das Betrug an den Wählern der Union, weil die Aussagen vor der Wahl stets das Gegenteil beteuerten. Dass jetzt, sobald ein möglicher Kanzler Merz dadurch mehr Spielraum bekommen könnte, die Schuldenbremse in einem parlamentarischen Hauruckverfahren möglicherweise doch reformiert wird, führt höchstwahrscheinlich zu noch mehr Politikverdrossenheit. Außerdem ist es perfide, der Ampelregierung etwas verweigern, was man nach der bevorstehenden Regierungsbildung selbst zu nutzen gedenkt. Und das ausgerechnet auch noch mithilfe von Abgeordneten der abgewählten Regierung Scholz. Vorurteile, dass man Politikern nicht vertrauen kann und dass sie ohnehin machen, was sie wollen, werden immer wieder aufs Neue bestätigt. Dieses unanständige Verhalten erzeugt noch mehr Unmut in der Bevölkerung, als dort sowieso vorhanden ist. So darf man nicht Politik betreiben, wenn einem etwas an der Demokratie liegt. ----------
[1]
CDU, Politikwechsel für Deutschland,
Wahlprogramm von CDU und CSU, PDF-Datei mit 3,4 MB
[2]
Spiegel-online vom 10.02.2025
[3]
IW vom 17.12.2024
[4] Süddeutsche vom 24.02.2025 (Paywall)
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