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| Archiv | Impressum 10. März 2025, von Michael Schöfer Blamabler Anfängerfehler CDU-Anhänger müssen am taktischen Geschick von Friedrich Merz verzweifeln. Erst lehnt die Union VOR der Bundestagswahl aus "staatspolitischer Verantwortung" die Reform der Schuldenbremse ab, um anschließend NACH der Bundestagswahl von den Grünen aus "staatspolitischer Verantwortung" die Zustimmung zur Reform der Schuldenbremse einzufordern. Außerdem stimmt die Union mitten im Wahlkampf trotz gegenteiliger Aussage mit der AfD ab, CSU-Chef Markus Söder wiederum bezeichnet die Grünen überheblich als nicht regierungsfähig. Obwohl Merz lange genug Zeit hatte, auf die von der SPD und den Grünen vorgeschlagene Reform der Schuldenbremse einzugehen, hat er dieses Ansinnen aus parteitaktischen Motiven heraus blockiert und dabei, wie sich nunmehr zweifelsfrei ergibt, seine Wähler betrogen. Welch überzogener Anspruch: Schwarz-Rot handelt unter sich etwas aus und erwartet, dass die Grünen dem wie selbstverständlich zustimmen, ohne jedoch eigene Vorstellungen einbringen zu können. Motto: Vogel friss oder stirb! Genau das ist die Position von Schwarz-Rot: Wir legen fest was getan wird, und ihr Grünen habt dem gefälligst zuzustimmen. Basta! Und glaubt ja nicht, dass es danach vorbei ist, denn wenn ihr zugestimmt habt, geht die Häme, mit der euch die Union überzogen hat, natürlich unvermindert weiter. Friedrich Merz habe der grünen Co-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann gönnerhaft auf den Anrufbeantworter gesprochen, man könne auch irgendwo das Wort Klima vielleicht noch in einer Begründung nennen. Unglaublich! Wenn ich von vier Parteien die Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung brauche, dann sollten auch vier Parteien darüber verhandeln. Jemanden zu ignorieren, auf dessen Zustimmung ich angewiesen bin, ist eine geradezu dilettantische Vorgehensweise. Ihn zu allem Überfluss auch noch zu beschimpfen, ist töricht und dumm. Taktisches Geschick stellt man sich gemeinhin anders vor. Null Regierungserfahrung scheint in der Tat ein Manko zu sein, aber kann sich Deutschland einen Azubi im Kanzleramt leisten? Darauf läuft es freilich angesichts der Mehrheitsverhältnisse hinaus. Vielleicht stimmt der Bundestag über zwei Grundgesetzänderungen ab: Eine Grundgesetzänderung für die Bundeswehr, der könnten die Grünen ohne Gesichtsverlust zustimmen, mittlerweile haben sie Medienberichten zufolge dazu einen eigenen Vorschlag präsentiert. Und eine Grundgesetzänderung für die Sonderschulden (euphemistisch Sondervermögen), der sich die Grünen wie angekündigt verweigern. Merz kann dann nach der Konstituierung des neuen Bundestages beweisen, was er im Wahlkampf ständig von sich behauptet hat: Alle Vorhaben problemlos finanzieren zu können. "Der Dreiklang aus Festhalten an der grundgesetzlichen Schuldenbremse, steuerlichen Entlastungen und notwendigen Investitionen kennzeichnet unsere solide Finanzpolitik." (Hervorhebung im Original) [1] Soll er halt mal machen. Falls die Grünen bei den Verhandlungen etwas mit Schwarz-Rot vereinbaren, stellt sich unweigerlich die Frage: Kann man der Union überhaupt trauen? Jens Spahn interpretiert nämlich schon vor Aufnahme der Koalitionsverhandlungen das Ergebnis der Sondierung kurzerhand um (Zurückweisungen an den Grenzen). [2] Genau das würde auch den Grünen drohen, falls sie den Zusagen von Merz blauäugig Glauben schenken. Generalsekretär Carsten Linnemann war kurz vor der Wahl noch felsenfest davon überzeugt, ein Politikwechsel sei mit den Positionen der Grünen schwer vorstellbar, doch jetzt muss er notgedrungen ziemlich viel Kreide fressen: "Ich finde das völlig legitim, dass die Grünen sagen: 'Wir haben auch unsere Vorstellung'." Er sehe die Vorstellungen als 'konstruktive Vorschläge. Ob man sie teilt oder nicht, aber sie sind nicht lebensfremd.'" [3] Der geneigte Fernsehzuschauer dürfte sich beim Abendessen verschluckt haben. Allerdings kann man den Zusagen der Union genauso wenig vertrauen wie den Versprechen von Rauchern, gleich morgen mit dem Rauchen aufzuhören. Merke: Auf dem hohen Ross zu sitzen muss man sich leisten können. Und langsam scheint der Union zu schwanen, die Lage völlig falsch eingeschätzt zu haben. Blamabler Anfängerfehler. Gut, wenn sie nun aufwacht. ----------
[1]
CDU, Agenda 2030, Beschluss des
Bundesvorstandes der CDU Deutschlands Hamburg, 10./11.
Januar 2025, Seite 14, PDF-Datei mit 240 KB
[2]
Spiegel-Online vom 10.03.2025
[3] Focus-Online vom 10.03.2025
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