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18. Juni 2025, von Michael Schöfer
Drecksarbeit


Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust. (Faust I) Einerseits ist das iranische Regime sicherlich eines der schlimmsten auf diesem geschundenen Planeten, und hierzulande würde ihm bestimmt keiner eine Träne nachweinen. Ausgenommen vielleicht schiitische Fundamentalisten. Andererseits ist der Präventivkrieg Israels, der das iranische Atomprogramm beenden und einen Regimewechsel herbeiführen soll, zweifelsohne ein Verstoß gegen das Völkerrecht. "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt", schreibt die UN-Charta in Artikel 2 vor. Und Völkerrechtler sagen, dass ein Präventivkrieg nur dann erlaubt ist, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht. Nach allem was man bisher weiß, war das hier nicht der Fall. Jedenfalls nicht mit iranischen Atomwaffen, über die das Land noch gar nicht verfügen soll. Von einem funktionsfähigen Sprengkopf und einem geeigneten Trägersystem sei Teheran mindestens noch ein bis zwei Jahre entfernt, meint Jan Busse, Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr in München. [1]

Die unsystematische Diplomatie von Donald Trump ging wie von vielen erwartet total in die Hose. Als er in seiner ersten Amtszeit das Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufkündigte, attestierte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), es gebe "keine glaubwürdigen Hinweise (…) dass der Iran an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitete". [2] Der Iran habe den Vertrag bis dahin eingehalten, erklärte damals auch die Europäische Union. Erst Anfang 2020 kündigte Teheran an, ebenfalls aus dem Atomabkommen auszusteigen und die Beschränkungen des Vertrags nicht mehr einzuhalten. Seitdem reichert das Land sein Uran wieder an. Und nun will der gleiche US-Präsident zu Beginn seiner zweiten Amtszeit das Atomabkommen wieder herbeibomben (lassen), das er seinerzeit kündigte. Kurioser und widersinniger geht es wirklich nicht mehr, so konfus würde noch nicht einmal ein blutiger Anfänger Diplomatie betreiben. Er hätte einfach Vertragspartner bleiben sollen. Aber Trump ist nicht bekannt dafür, auf Experten zu hören, er weiß nämlich immer alles besser.

Ich kann natürlich verstehen, dass Israel nicht warten wollte, bis der Iran tatsächlich die Bombe besitzt, schließlich ist die Vernichtung Israels dort offizielle Staatsdoktrin. Auf dem Palästina-Platz in Teheran gibt es sogar eine Israel-Restzeituhr, die die Zeit bis zur endgültigen Vernichtung im Jahr 2040 anzeigt. Außerdem verfügen die Iraner nach Angaben der IAEA schon über 409 Kilogramm hochangereichertes Uran mit einem Anreicherungsgrad von 60 Prozent. Von dort bis zu waffenfähigem Uran (Anreicherungsgrad 90 %) ist es bloß ein kleiner Schritt. Die Beteuerungen der iranischen Mullahs, keinen Bau von Atomwaffen anzustreben, sind vollkommen unglaubwürdig, weil es dort für hochangereichertes Uran keine zivile Verwendung gibt (der medizinische Forschungsreaktor in Teheran ist auf 20 Prozent angereichertes Uran ausgelegt). Der einzige logische Zweck ist folglich der beabsichtigte Bau der Bombe.

Die Iraner haben sich offenbar Illusionen über ihre militärische Stärke hingegeben, denn sie wurden von Israel total überrascht und erwiesen sich bislang als deutlich unterlegen. Starke Sprüche, martialisch klingende Propaganda, aber nach allem Anschein wenig dahinter. Israel hat den Militäreinsatz akribisch vorbereitet und präzise ausgeführt, was die iranische Defensiv- und Offensivkraft schwer in Mitleidenschaft zog. Allerdings hat man auch von Israel mittlerweile den Eindruck, als würde das Land der Hybris erliegen, alle seine Probleme mit militärischen Mitteln lösen zu können. Israel, das stets nur kurze Kriege geführt hat, kämpft seit Oktober 2023 ununterbrochen an mehreren Fronten gleichzeitig: Im Libanon, in Syrien, im Gazastreifen, im Westjordanland und nun auch mit seinen Kampfjets über dem fast 1.600 km entfernten Himmel der iranischen Hauptstadt. Das ist für das kleine Land eine enorme Belastung. Die rechtsreligiöse Regierung von Benjamin Netanjahu lässt dennoch kein realistisches Konzept erkennen, wie sie aus all diesen Konflikten politisch wieder herauskommen will. Teile der Regierung propagieren mit Verweis auf die Tora die Vertreibung der Palästinenser, aber das ist keine konfliktbeendende Option, sondern juristisch ein Kriegsverbrechen oder sogar ein Genozid. Selbst wenn der Regime-Change in Teheran gelingt, ist völlig ungewiss, was danach folgt.

Israel als David, als ein Land, das sich gegen eine Übermacht von heimtückischen Feinden heroisch zu wehren weiß, ist ein Mythos, der in Romanen wie "Exodus" von Leon Uris verewigt und von Hollywood gepuscht wurde. Doch selbst in der Anfangszeit unmittelbar nach der Staatsgründung galt das bloß eingeschränkt, denn dazu müsste man etwa die Nakba, die Vertreibung und Flucht der arabischen Palästinenser während des Palästinakrieges (1947-1949), weitgehend ausblenden. Inzwischen ist David zu Goliath mutiert, macht seit 1967 in den besetzten Gebieten aus den Palästinensern Menschen zweiter Klasse und hat - siehe Gaza - in der Anwendung des Selbstverteidigungsrechts jedes Maß verloren. Israel behauptet, es habe die "moralischste Armee der Welt", doch das Bild vom fast vollständig zerstörten Gazastreifen und die mehr als 55.000 Toten und rund 127.000 Verletzten belegen das Gegenteil. Vom anscheinend gezielt geplanten Hunger als Kriegswaffe ganz zu schweigen.

Es gibt etliche Stimmen, die den israelischen Präventivkrieg gegen den Iran rechtfertigen, unter anderem die von Bundeskanzler Friedrich Merz. "Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle", sagte er am Rande des G7-Gipfels in Kanada. Das kann man so interpretieren: "Das Völkerrecht, nun ja... Aber die Moral steht auf der Seite Israels und rechtfertigt das Ganze." Dabei weiß kein Mensch, wie sich der Krieg entwickelt und welche politische Lösung am Ende herauskommt. Von einem plötzlichen Kollaps des iranischen Regimes bis zu einem Flächenbrand, der die gesamte Region in Brand setzt, liegt alles im Bereich des Möglichen. Und zumindest bislang waren Militäreinsätze dort wenig segensreich, denn sie haben wohl Diktatoren gestürzt (Saddam Hussein im Irak, Muammar al-Gaddafi in Libyen), aber auch heilloses Chaos verursacht. Chaotische Zustände, die Warlords und Terrorgruppen erfolgreich ausgenutzt haben.

Generell wird beklagt, dass das Völkerrecht erodiert, weil sich immer weniger daran halten. Jedoch vor allem mit dem Blick auf die üblichen Verdächtigen, die eigenen Beiträge dazu werden geflissentlich übergangen. Klar, man hat in jedem Einzelfall eine irgendwie plausibel klingende Rechtfertigung parat, warum man sich selbst gerade nicht ans Völkerrecht halten kann (etwa der ominöse "Hufeisenplan" Scharpings im Kosovo-Krieg oder die nie gefundenen Massenvernichtungswaffen im Irak). Die Bösen sind ohnehin stets die anderen. Aber die Welt sieht nicht umsonst so beklagenswert aus, man hat sie mit Absicht dahin gebracht. Es gilt zunehmend das Recht des Stärkeren und in immer geringerem Maße die Stärke des Rechts. Doch ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist.

In der UN-Charta gibt es eine klare rote Linie: das Gewaltverbot. Gewalt ist ausschließlich zur Selbstverteidigung erlaubt. Das Gewaltverbot unterscheidet nicht zwischen - je nach Standpunkt sowieso unterschiedlich interpretierbaren - moralischen und unmoralischen Gründen, Gewalt anzuwenden. Gewalt ist strikt verboten. Punkt. Das gilt natürlich auch für ein Land, von dem der deutsche Bundeskanzler den Eindruck haben mag, es erledige für uns die "Drecksarbeit". Wer das Gewaltverbot aufweicht, wer beginnt, Gewalt im Sinne von Clausewitz ("Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln") zu relativieren, landet letztlich in einer Welt voller Willkür, in der die Schwachen hilflos den Starken ausgeliefert sind. Diese Welt hatten wir früher schon einmal, und wir wollten sie eigentlich nach dem von Hitler entfachten Zweiten Weltkrieg endgültig hinter uns lassen. Jetzt, in einer Zeit, in der sich durch die unberechenbare Politik von Donald Trump selbst scheinbar in Stein gemeißelte Bündnisse aufzulösen beginnen, droht der endlose Kampf jeder gegen jeden. Und die, die jetzt den vermeintlichen Klartext von Friedrich Merz loben, werden dereinst ihr böses Erwachen erleben.

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[1] ZDF vom 13.06.2025
[2] Zeit-Online vom 01.05.2018