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30. Juni 2025, von Michael Schöfer
Schuld ist angeblich mal wieder die Bürokratie


Andreas Discher beklagt sich laut einem Artikel des SWR u.a. über Schutzvorgaben für den Import von Kaffeebohnen, die er als Bäcker erfüllen müsse, obwohl er selbst "noch nie auf einer Kaffeeplantage war". [1] Vermutlich meint er die EU-Entwaldungsverordnung [2], von der allerdings "Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen" (KMU) kaum betroffen sind.

KMU-Definition gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2013/34/EU (mindestens zwei der drei Schwellenwerte dürfen nicht überschreiten werden) [3]:

Kleinstunternehmen, wenn
- die Bilanzsumme 450.000 Euro nicht übersteigt,
- der Nettoumsatzerlös 900.000 Euro nicht übersteigt,
- die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten während des Geschäftsjahres 10 oder weniger beträgt.

kleines Unternehmen, wenn
- die Bilanzsumme maximal 7.500.000 Euro beträgt,
- der Nettoumsatzerlös maximal 15.000.000 Euro beträgt,
- durchschnittlich während des Geschäftsjahres maximal 50 Beschäftigte.

mittleres Unternehmen, wenn
- die Bilanzsumme maximal 25.000.000 Euro beträgt,
- der Nettoumsatzerlös maximal 50.000.000 Euro beträgt,
- durchschnittlich während des Geschäftsjahres maximal 250 Beschäftigte.

Discher dürfte es schwerhaben, die dort genannten Summen zu erreichen respektive zu überschreiten. Als KMU braucht er im Wesentlichen lediglich "den Namen, den eingetragenen Handelsnamen oder die eingetragene Handelsmarke, die Postanschrift, die E-Mail-Adresse und, falls verfügbar, eine Internetadresse derjenigen Marktteilnehmer oder Händler, die ihnen die relevanten Erzeugnisse geliefert haben, sowie die Referenznummern der diesen Erzeugnissen zugeordneten Sorgfaltserklärungen" festzuhalten (vgl. Artikel 5 Abs. 3 der EU-Entwaldungsverordnung). Seine Lieferanten und das von ihm vertriebene Kaffeeprodukt dürfte er ja wohl kennen und kann die geforderten Informationen sicherlich dem Lieferschein entnehmen. Die Erstellung einer eigenen Sorgfaltserklärung wird von KMU nicht verlangt, die Referenznummer derselben genügt vollkommen. Auf eine Kaffeeplantage zu gehen, wird von ihm also gar nicht erwartet.

Wo ist da bitteschön die überbordende Bürokratie, die einem Bäckereiunternehmen mit rund 50 Mitarbeitern das Leben schwermacht? Es ist modern geworden, sich über die Bürokratie zu beklagen, und teilweise ist auch etwas dran, aber in dem vom SWR präsentierten Fall kann ich das nicht erkennen. Und es wäre gut gewesen, wenn der Autor des Artikels (Julian Küng) vor der Veröffentlichung intensiver recherchiert hätte, dann wäre er nämlich selbst auf den Widerspruch zwischen Dischers Behauptung und den EU-Verordnungen gekommen. Mich erinnert das an die substanzlose Kritik des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) gegen das Lieferkettengesetz. [4] Und hier wie dort waren unkritische Journalisten, die anscheinend auf eine tiefgehende Recherche verzichtet haben, bei der Verbreitung von irreführenden Nachrichten behilflich.

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[1] SWR vom 29.06.2025, "Zu viel Bürokratie: Bei der Bäckerei Discher gehen die Öfen aus"
[2] Amtsblatt der Europäischen Union, Verordnung 2023/1115 vom 31.05.2023
[3] Amtsblatt der Europäischen Union, Richtlinie 2023/2775/EU vom 17.10.2023 in Abänderung der Richtlinie 2013/34/EU vom 26.06.2013, Artikel 3