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| Archiv | Impressum 03. Juli 2025, von Michael Schöfer Boomer sollen für Boomer zahlen Es ist ja neuerdings Mode geworden, die Generationen gegeneinander auszuspielen. Am besten gelingt das beim Thema Rente, weil das Rentensystem aufgrund der demografischen Änderungen unter Druck steht. Das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern wird sich voraussichtlich verschlechtern. Allerdings verlaufen die Bruchlinien in Wahrheit nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Arm und Reich. Hierzulande besitzen 3.900 Superreiche 27 Prozent des gesamten Finanzvermögens [1], während immer mehr Menschen von Armut gefährdet sind. Bei Menschen über 65 lag die Armutsgefährdungsquote (weniger als 60 % des mittleren Einkommens) bei 19,4 Prozent und damit sogar noch über dem gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt von 15,5 Prozent. [2] Die Lösung ist für manche vermeintlich einfach. "Boomer sollen für Boomer zahlen", fordert beispielsweise Bastian Brinkmann von der Süddeutschen Zeitung. "Den allermeisten Rentnern geht es ordentlich, vielen sogar sehr gut. (...) Die wenigen armen Alten werden als Vorwand genutzt, um der Rentner-Mittelschicht jeweils Hunderte Euro mehr im Jahr auszuzahlen. (…) Rentner mit besonders hohen Bezügen können von ihren künftigen Rentensteigerungen etwas abgeben an die mit den kleinsten Renten. Boomer zahlen für Boomer, die Starken helfen den Schwachen." [3] Die Boomer seien reich und werden als Konsumenten unterschätzt, behauptet auch Robert Hübner vom Hessischen Rundfunk. "Die Generation der Babyboomer, rund 20 Millionen Deutsche, ist der wichtigste Treiber des Konsums hierzulande." [4] Man fragt sich unwillkürlich, wie es zu der Kluft zwischen den statistischen Angaben und der Perspektive von Journalisten kommt. Leben Letztere in einer anderen Realität? Gewiss, nicht allen Rentnern geht es schlecht, zum Glück, aber angesichts der tatsächlich ausgezahlten Rentenhöhe macht sich bei vielen nach dem Erwerbsleben Ernüchterung breit. In Westdeutschland wurden die Versichertenrenten in folgender Schichtung ausgezahlt (Stand 31.12.2023, Anteil in %) [5]:
Den allermeisten Rentnern geht es ordentlich? Doch was ist "ordentlich" genau? 57,1 Prozent der Männer und 90,5 Prozent der Frauen bekommen weniger als 1.500 Euro überwiesen. Könnte Bastian Brinkmann davon leben? Moment, was ist mit der betrieblichen oder privaten Altersvorsorge? Die kommt da ja noch hinzu. Guter Einwand, aber wenn man diejenigen, die in Form einer Betriebs- oder Riesterrente nebenher vorgesorgt haben, nachträglich dafür auch noch bestraft, würde das die private Altersvorsorge vollends ad absurdum führen und dauerhaft diskreditieren. Wer zusätzlich etwas spart bekommt zusätzlich etwas abgezogen - dieses Vorgehen wäre im Grunde ein Schildbürgerstreich. Die in der Tabelle aufgeführten Rentenzahlung sind natürlich noch zu versteuern. Seit der Rentenreform 2005 bemisst sich die Besteuerung der Renten nach dem Jahr des Renteneintritts, weshalb sie individuell ausfällt und keine generelle Aussage mehr möglich ist. Trotzdem: 86,8 Prozent der Männer und 98,8 Prozent der Frauen dürften nach Abzug der Steuern monatlich weniger als 2.000 Euro zur Verfügung haben. Dass die Boomer reich sind, ist eine Mär. Wer als Rentner umziehen muss, etwa weil er eine altengerechte Wohnung braucht, findet in seiner Stadt oft keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Den Rentnern geht es diesbezüglich nicht anders als den meisten, allerdings haben sie im Vergleich zu Erwerbstätigen in der Regel weniger Geld zur Verfügung. Ich sehe angesichts dessen wenig Spielraum für Zahlungen von Boomern an Boomer, zumal Rentner von den steigenden Kosten genauso betroffen sind wie andere (Lebensmittel, Energie, Miete etc.). Die kleine Anzahl an Rentnern, denen es wirklich gutgeht, hat insgesamt viel zu wenig finanzielle Masse, um mithilfe von Verzicht auf künftige Rentensteigerungen Generationengerechtigkeit herzustellen. Außerdem stehen den Renten konkrete Beitragsleistungen gegenüber. Wenn man bei ihnen etwas abzieht, ist das faktisch eine Enteignung. Das Grundgesetz schützt nämlich auch Rentenansprüche, sagt das Bundesverfassungsgericht, weil sie der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 GG unterliegen. Eingriffe in das Eigentum sind aber nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Und ob die bei gestaffelten Rentensteigerungen gegeben sind, ist fraglich. Solange man Begüterten erlaubt, sich vor dem Finanzamt arm zu rechnen und ihnen deshalb großzügigerweise die Erbschaft- bzw. Schenkungssteuer erlässt (siehe Verschonungsbedarfsprüfung § 28a ErbStG), ist offenbar noch genug Geld da. 2023 hat der Staat in 26 Fällen nach einer beantragten Verschonungsbedarfsprüfung auf Steuern in Höhe von 2,126 Mrd. Euro verzichtet, was bei den Betroffenen zu einem Steuernachlass von 99,7 Prozent führte. [6] Die Verschonungsbedarfsprüfung kann übrigens erst ab einem Vermögen von mehr als von 26 Millionen Euro genutzt werden. Milliardäre können einen ganzen Industriekonzern geschenkt bekommen, sind jedoch in den Augen der Finanzbeamten bloß arme Schlucker, bei denen nichts zu holen ist. Auch Durchschnittsverdiener wären gerne so "bedürftig". Warum werden die Steuern erlassen und nicht gestundet? Man könnte die Steuerschuld ja auch peu à peu aus dem Ertrag des übertragenen Betriebsvermögens abstottern, falls eine sofortige Zahlung tatsächlich unmöglich ist. Warum nimmt man immer bloß den weniger Begüterten etwas weg und nicht denen, die mehr als genug haben? Wenn bei einer Gesamtbevölkerung von 83,6 Millionen ganzen 3.900 Menschen fast ein Drittel des Finanzvermögens gehört, läuft etwas gründlich falsch bei der Verteilungsgerechtigkeit. 16 Prozent Vermögenszuwachs in einem Jahr bei den Superreichen, aber den Rentnern soll zusätzlich etwas abgezogen werden, weil der Staat angeblich nicht genug Geld hat, um Generationengerechtigkeit herzustellen. Und es geht nicht nur um legale Steuervermeidung, sondern auch um illegale Steuerhinterziehung. Letztere wird hierzulande auf 100 Milliarden Euro geschätzt. Pro Jahr, wohlgemerkt. Doch von verstärkten Bemühungen, Steuerehrlichkeit herzustellen, ist wenig bekannt. "Wir werden notwendige weitere gesetzliche Maßnahmen hierzu prüfen", steht im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Nun, dann prüft mal schön. ----------
[1]
tagesschau.de vom 24.06.2025
[2]
Statistisches Bundesamt,
Armutsgefährdung sowie materielle und soziale Entbehrung bei
älteren Menschen
[3]
Süddeutsche vom 01.07.2025 (Paywall)
[4]
tagesschau.de vom 19.06.2025
[5]
Deutsche Rentenversicherung,
Rentenversicherung in Zahlen 2024, Seite 38, PDF-Datei mit
734 KB
[6]
Statistisches Bundesamt, Steuererlasse
nach der Verschonungsbedarfsprüfung § 28a ErbStG
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