Home
| Archiv | Impressum 10. Juli 2025, von Michael Schöfer Trump ist ein geopolitischer Dilettant Zbigniew Brzezinski, ein Geopolitiker der alten Schule, vertrat 1997 die Ansicht, dass die Ukraine für die Sicherheit und Stabilität von ganz Europa nicht zu überschätzen sei. Ohne die Ukraine gäbe es keine russische imperiale Restauration, das Land sei ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt von entscheidender Bedeutung. [1] Brzezinski schrieb sein Buch in einer Zeit, in der die Zukunft Russlands, ob es sich zum Freund oder Gegner des Westens entwickelt, noch offen war. Doch er äußerte schon damals Zweifel: "Russland hegt womöglich weitergehende Ambitionen und gibt sich nicht damit zufrieden, als Demokratie Anerkennung und Respekt zu erlangen. Innerhalb der russischen Außenamtsbehörde (die zum größten Teil aus früheren Sowjetbürokraten besteht) lebt und gedeiht ungebrochen ein tiefsitzendes Verlangen nach einer Sonderrolle in Eurasien, die folgerichtig mit einer neuerlichen Unterordnung der nun unabhängigen ehemaligen Sowjetrepubliken gegenüber Moskau einherginge." [2] Wohlgemerkt, seinerzeit regierte in Moskau Boris Jelzin, Wladimir Putin war auf dem internationalen Parkett ein unbeschriebenes Blatt und die Nato-Osterweiterung hatte noch nicht begonnen. Eurasien ist Brzezinski zufolge das Schachbrett, auf dem auch künftig der Kampf um die globale Vorherrschaft ausgetragen wird. Trump hat wahrscheinlich Brzezinski weder gelesen noch hätte er ihn verstanden. Dass der US-Präsident die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen scheint und obendrein durch seine erratische Zollpolitik auch die europäischen Verbündeten verprellt, ist eigentlich eine politische Dummheit ohnegleichen. Ohne starke Spielfiguren gewinnt man im Schach keinen Blumentopf, Trump wirft jedoch eine aus seiner Sicht überflüssige Spielfigur nach der anderen vom Brett. Und behaupte bitte keiner, er spiele genialer Schach als der legendäre Bobby Fischer. Anstatt die guten Beziehungen zu Brasilien zu pflegen, mischt Trump sich unzulässigerweise in die brasilianische Innenpolitik ein. Weil gegen den früheren Präsidenten Jair Bolsonaro angeblich eine "Hexenjagd" im Gange sei, soll auf brasilianische Produkte ein Strafzoll in Höhe von 50 Prozent erhoben werden. Bolsonaro ist wegen eines versuchten Staatsstreichs angeklagt, der Oberste Gerichtshof Brasiliens hat die Anklage bereits zugelassen, ihm drohen bis zu zwölf Jahre Haft. Trump, der am 6. Januar 2021 selbst einen Staatsstreich unternahm, ohne dafür bislang zur Rechenschaft gezogen worden zu sein, will Bolsonaro unterstützen. Das sagt übrigens viel darüber aus, was Trump vom Rechtsstaat hält - nämlich nichts. Was der US-Präsident zudem übersehen hat, sind die Außenhandelsüberschüsse, die die USA beim Handel mit Brasilien erwirtschaften. Das heißt, er würde, falls Brasilien mit entsprechenden Gegenzöllen antwortet, den USA mehr schaden als nutzen. Außerdem treibt er das Land dadurch China buchstäblich in die Arme. Zurück zur Geopolitik. Der Fokus der USA mag in der Tat stärker auf China gerichtet sein, dafür aber in Europa Chaos zu provozieren, ist definitiv der falsche Weg. Je schwächer Russland, desto besser für die USA in der Auseinandersetzung mit China. Stichwort: den Rücken freihalten. Überlässt er die europäischen NATO-Verbündeten ebenfalls ihrem Schicksal, geht er womöglich als US-Präsident in die Geschichte ein, der alles verloren hat, denn ein Sieg in der Auseinandersetzung mit China ist keineswegs gewiss. Zumal Trump schon Zweifel daran geweckt hat, ob er im Ernstfall Südkorea und Taiwan verteidigen würde. Unfassbar, das sind neben Japan seine wichtigsten Verbündeten in Asien! Dilettantischer kann man es kaum anpacken, Zbigniew Brzezinski dreht sich bestimmt im Grab herum. Bedauerlicherweise scheint sich dieser Dilettantismus auch in der durch die MAGA-Bewegung (Make America Great Again) radikalisierten Grand Old Party durchzusetzen. Transatlantiker gibt es in ihr offenbar nur noch wenige, Europahasser dafür umso mehr. Man hat deshalb nicht den Eindruck, als kämen die USA in absehbarer Zeit zur Besinnung. Putin und Xi können ihr Glück sicherlich kaum fassen. ----------
[1]
Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, deutsche Ausgabe
Frankfurt a. Main 1999, Seite 166
[2] Zbigniew Brzezinski, a.a.O. Seite 81
|