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| Archiv | Impressum 16. Juli 2025, von Michael Schöfer Die im Dunkeln sieht man nicht Bösartige Programme (Malware) sind in der IT-Branche ein großes und leider wachsendes Problem. Um jemandem Malware unterzujubeln, geraten zunehmend sogenannte Supply Chain-Angriffe in den Fokus der Angreifer. Dabei versuchen sie, einem nützlichen Programm schon bei der Programmierung durch den Hersteller Schadcode einzubauen, so dass es von Anfang an möglichst unauffällige Schwachstellen aufweist. Das Gleiche passiert aber auch in der Politik, wo die Lobbyisten bereits im Vorfeld versuchen, unentdeckt Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Der Lieferketten-Angriff erfolgt in diesem Fall bei den Koalitionsverhandlungen. Das bekannteste Beispiel für den verdeckten Einfluss von Lobbyisten in der jüngeren Geschichte ist wohl der Kontakt zwischen dem früheren FDP-Chef Christian Lindner und Porsche-Chef Oliver Blume, über den wir durch die gerichtlich erzwungene Veröffentlichung der "Porschegate-SMS" gut unterrichtet sind. [1] Wenig verwunderlich, dass der Porsche-Chef bei der Aufweichung des Verbrenner-Verbots behilflich war, die sogenannte "Technologieoffenheit" liegt schließlich im ureigensten Interesse des Sportwagenbauers. Christian Lindner wurde zu Recht heftig dafür kritisiert, und die Verweigerung der Herausgabe der SMS war einer der Gründe für das Scheitern der FDP bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Wer wie die FDP "mehr Transparenz bei Lobbyismus" fordert [2], darf eben im Ernstfall nicht abblocken. Beim Lobbyregister des Deutschen Bundestages geht es darum, "Einflussnahme durch Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter auf die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung nachzuvollziehen. Bürgerinnen und Bürger sollen erkennen können, wer, in wessen Auftrag, mit welchen personellen und finanziellen Aufwendungen und mit welchen Zielen und Argumenten Einfluss auf politische und gesetzgeberische Entscheidungen nehmen will. Durch die gesteigerte Transparenz in diesem Bereich soll das Lobbyregister dazu beitragen, das Vertrauen in die Legitimität demokratischer Prozesse und Institutionen zu stärken." [3] Doch
anstatt erst bei der Formulierung eines konkreten Gesetzes
Einfluss zu nehmen, versuchen Lobbyisten schon bei den
Koalitionsverhandlungen indirekt Einfluss auf die Gesetzgebung
auszuüben. Weit im Vorfeld also und außerhalb des Blickfelds
der Öffentlichkeit. Wer wie auf was Einfluss nimmt, bleibt
deshalb im Verborgenen. "Wir haben sehr großen Anteil, dass
die E-Fuels in den Koalitionsvertrag mit eingeflossen sind. Da
sind wir ein Haupttreiber gewesen, mit ganz engem Kontakt an
die Koalitionsparteien. Der Christian Lindner hat mich in den
letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten",
prahlte Oliver Blume auf einer Porsche-Betriebsversammlung.
Später beteuerte er jedoch, durch seine Worte sei ein falscher
Eindruck entstanden, er "habe in einer internen Veranstaltung
falsche Worte gewählt". [4] Lindner will in dieser Zeit
(21.10.2021 bis 24.11.2021) bloß einmal kurz mit Blume
telefoniert haben, sein Dementi einer Einflussnahme während
der Zeit der Koalitionsverhandlungen kann man glauben oder
auch nicht.
Das ist gewissermaßen der politische Supply Chain-Angriff, bei dem die Transparenz bewusst unterlaufen wird. Die damalige Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch (Linke) wollte im August 2022 folgende Frage beantwortet haben: "Trifft es zu, dass Christian Lindner den Chief Executive Officer (CEO) von Porsche Oliver Blume fast stündlich über die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP unterrichtet hatte, um das Thema E-Fuels in den Koalitionsvertrag zu lancieren, und ist der Bundesfinanzminister bereit, den Chat-Verlauf zum Thema E-Fuels mit dem CEO von Porsche zu veröffentlichen, um den Eindruck zu entkräften, dass Christian Lindner als rechte Hand von Lobbyisten in den Koalitionsverhandlungen gesessen hat?" Lapidare Antwort des Finanzministeriums: "Vom Bundesministerium der Finanzen können ausschließlich Aussagen über Kontakte des Bundesministers der Finanzen in seiner jeweiligen Amtszeit getroffen werden. Zum Zeitraum der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP kann sich das Bundesministerium der Finanzen nicht äußern." [5] Da ist sie, die ausnutzbare Lücke: Auskunft gib es erst, wenn die Damen und Herren offiziell in Amt und Würden sind, Koalitionsverhandlungen zwischen Parteien, die zu einer künftigen Regierung und später zu konkreten Gesetzen führen, gehören nach dieser Lesart nicht dazu. Denn die einen sind im Dunkeln Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht. (Bertolt Brecht, "Die Moritat von Mackie Messer" aus dem Theaterstück "Die Dreigroschenoper") Wäre die SPD 2022 nicht gemeinsam mit der FDP in der Ampelregierung gewesen, hätte sich Christian Lindner von den Sozialdemokraten sicherlich viel ätzende Kritik anhören müssen. "Lobbyismus als Vertretung von Interessen gegenüber der Politik gehört zum Wesen der Demokratie. Aber Lobbyismus muss transparent sein", betont die SPD. [6] Absolut richtig, allerdings muss man sich auch selbst daran halten. Dieser Einwand ist berechtigt, denn jetzt kommt heraus, wie Lobbyisten noch auf die Koalitionsverhandlungen der Ampelregierung Einfluss nahmen. Diesmal geschah es auf Einladung der Sozialdemokraten: "Die SPD hat Lobbyverbänden exklusiven Zugang zu den Koalitionsverhandlungen im Bereich Klima und Energie verschafft", berichtet das ZDF. "Die Organisation Abgeordnetenwatch sieht darin eine 'gezielte Einflussnahme', sagt die Sprecherin Sarah Schönewolf im Interview mit ZDF frontal: 'Da geht es um politische Leitlinien, da fallen Entscheidungen für die nächsten Jahre und ja, das ist wirklich sehr schwierig, wenn da einzelne Lobbyverbände und deren Position so bevorzugt werden.'" [7] Ein Niveau der Einflussnahme, das Normalbürgern oder deren Interessenvertretern nicht gewährt wird. Angesichts dessen braucht man sich nicht darüber zu wundern, wenn die aus dem Koalitionsvertrag resultierenden Gesetze häufig im Sinne der Lobbyisten ausfallen. Es ist paradox, jeder verspricht Transparenz, trotzdem bleibt vieles intransparent. Parteien, die angeblich die Interessen der Wählerinnen und Wähler vertreten, gewähren finanzstarken Lobbyverbänden privilegierten Zugang zu Entscheidungsgremien und Entscheidern. Können wir Vertrauen in die Legitimität demokratischer Prozesse und Institutionen haben? Dafür gibt es leider wenig Anlass. ----------
[1]
abgeordnetenwatch.de, Das sind die
Porschegate-SMS von Christian Lindner und Oliver Blume
[2]
Deutscher Bundestag, Drucksache
19/15773 vom 10.12.2019, PDF-Datei mit 180 KB
[3]
Deutscher Bundestag, Lobbyregister
[4]
Handelsblatt vom 24.07.2022
[5]
Deutscher Bundestag, Drucksache
20/2992 vom 05.08.2022, Seite 24, PDF-Datei mit 3,3 MB
[6]
SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag
vom 19.10.2023
[7]
ZDF vom 15.07.2025
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