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| Archiv | Impressum 05. August 2025, von Michael Schöfer Vergleiche hinken oft, aber sind sie auch strafbar? "Die Spanierin Teresa Ribera (...), stellvertretende Präsidentin der EU-Kommission, fühlte sich beim Anblick der Hungerbilder aus Gaza an die Befreiung von Auschwitz und an das Warschauer Ghetto erinnert. Sie fand für die Aussage viel Zustimmung in einem Land, das stark vom Anti-Imperialismus geprägt ist. Ihre Chefin Ursula von der Leyen, geprägt von der Erinnerung an den Holocaust, würde so etwas niemals sagen - und wenn doch, würde sie in Deutschland einen Skandal ersten Ranges provozieren", schreibt die Süddeutsche. [1] Nun, die Zurückhaltung von Ursula von der Leyen ist verständlich, denn sie würde hierzulande nicht nur einen Skandal provozieren, sie bekäme es vielleicht sogar mit der Justiz zu tun. Teresa Ribera würde nämlich in Deutschland für ihre Äußerung eine Anklage wegen Volksverhetzung riskieren (§ 130 Abs. 3 StGB: Verharmlosung des Nationalsozialismus). So wurde etwa eine 30-jährige Deutsche laut einem Bericht der taz Ende April vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilt, weil sie am 3. November 2023 ein Plakat mit dem Text "Haben wir aus dem Holocaust nichts gelernt?" hochhielt. Sie zog damit einen Vergleich zu Gaza. (Zur Erinnerung: Laut Statista wurden bislang im Gazastreifen rund 60.138 Menschen getötet und 146.269 verletzt, das Gebiet gleicht einer Trümmerwüste, die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einer tödlichen Hungerkrise.) Meiner Ansicht nach fällt so etwas unter die Meinungsfreiheit, Staatsanwälte und Gerichte sehen das häufig anders. Das Amtsgericht begründete das Urteil wie folgt: "Durch 'das offenkundige Ungleichgewicht' habe die Angeklagte, 'die Art, das Ausmaß und die Folgen der Unterdrückung, der Gewalt und der massenhaft industriellen Ermordung' der NS-Opfer 'verharmlost'. Diese Verharmlosung habe die Frau trotz eines 'inneren Vorbehalts' 'billigend in Kauf genommen'. Weil sie die Aktion vor dem Bundestag durchführte, habe sie auch eine 'abstrakte Gefahr der Störung des öffentlichen Friedens' verursacht. (Az.: 227 Cs 1077/24)." Strafe: 50 Tagessätze à 30 Euro. [2] Ob das Urteil inzwischen Rechtskraft erlangt hat, ist mir nicht bekannt. Das
Berliner Gericht sprach von einer "abstrakten" Gefahr der
Störung des öffentlichen Friedens. Ob das Urteil der Bewertung
höherer Instanzen standhält? Das Bundesverfassungsgericht hat
bereits 2018 festgelegt: "§ 130 Abs. 3 StGB ist auf die
Bewahrung des öffentlichen Friedens gerichtet. (…) Insoweit
kommt eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB in allen
Varianten - und damit auch in der Form des Verharmlosens - nur
dann in Betracht, wenn hiervon allein solche Äußerungen
erfasst werden, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden im
Sinne der Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu gefährden [3].
Soweit sich dies aus den übrigen Tatbestandsmerkmalen selbst
nicht eindeutig ergibt, ist die Eignung zur Störung des
öffentlichen Friedens eigens festzustellen. (…) Danach ist dem
Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes
Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein
Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor
subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation
mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche
Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen (...) gehört zum
freiheitlichen Staat." [4]
Natürlich sind die Geschehnisse in Gaza nicht mit dem
Holocaust gleichzusetzen, obwohl Israel dort Kriegsverbrechen
und schwere Menschenrechtsverletzungen begeht. Ob es auch ein
Genozid ist, werden die Gerichte entscheiden. Dessen
ungeachtet wecken die schrecklichen Bilder aus Gaza bei vielen
Assoziationen, und wenn sie Teresa Ribera an die Befreiung von
Auschwitz und an das Warschauer Ghetto erinnern, ist das doch
keine Verharmlosung des Nationalsozialismus. Laut Wiktionary
hat Verharmlosung
die Bedeutung von: "Darstellung einer Sache als weniger
bedeutsam, gefährlich, als sie tatsächlich ist." Mit einem
anderen Wort: Eine Bagatellisierung. Aber man bagatellisiert
den Nationalsozialismus nicht automatisch dadurch, indem man
zeitgeschichtliche Ereignisse damit vergleicht. Man vergleicht
lediglich ein schlimmes Verbrechen mit einem noch schlimmeren.
Doch gerade wenn es um Israel geht, ist man in Deutschland mit
solchen Vorwürfen schnell bei der Hand, was allerdings in
meinen Augen die Meinungsfreiheit unzulässigerweise
einschränkt. Vergleiche hinken oft, aber sind sie auch
strafbar? Hoffentlich nicht.
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[1]
Süddeutsche vom 05.08.2025 (Paywall)
[4] BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1
BvR 2083/15
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