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05. August 2025, von Michael Schöfer
Putins "Haltet-den-Dieb!"-Taktik


Man kann zur Zollpolitik von Donald Trump stehen wie man will, dass er die Weltgemeinschaft damit ordentlich aufmischt, dürfte keiner bestreiten, nicht einmal sein größter Feind. Und wenn Sanktionen nicht wirken würden, hätte Kremlsprecher Dmitrij Peskow ein ruhigeres Leben. Aber weil Sanktionen selbst den sich betont gelassen gebenden Wladimir Putin mächtig stören, musste er sich jetzt zu Wort melden. Indirekt, über seinen Sprecher.

Es ist ein bisschen kompliziert. Donald Trump tönte im Wahlkampf, er würde den Ukrainekrieg innerhalb von 24 Stunden beenden. Der US-Präsident ist seit dem 20. Januar im Amt, aber Putin lässt das Nachbarland stärker bombardieren als je zuvor. Man wird das Gefühl nicht los, er zieht Donald Trump am Nasenring durch die Manege, was inzwischen womöglich sogar der Möchtegern-Friedensnobelpreisträger bemerkt hat. Wie dem auch sei, jedenfalls tritt Trump zunehmend aggressiver gegenüber Russland auf, weil mittlerweile selbst er am Friedenswillen des russischen Diktators zu zweifeln scheint.

Nun hat Donald Trump Strafzölle gegen Indien angekündigt. Grund: Weil das Land russisches Öl kauft und damit Putins Kriegskasse füllt. Zudem sei Indien ein Kriegsgewinnler, weil es das Öl mit großen Gewinnen weiterverkaufe. Das ist ein Spiel über die Bande, denn direkte Sanktionen gegen Russland machen angesichts des extrem niedrigen Handelsumfangs wenig Sinn. Der Warenaustausch zwischen den USA und Russland betrug im gesamten Jahr 2024 gerade einmal 3,5 Mrd. US-Dollar. [1] Banale Erkenntnis: Wo fast nichts ist, kann man logischerweise praktisch nichts sanktionieren. Deshalb der Umweg über die Bestrafung von Indien. Erpressungspotenzial ist vorhanden: Neu-Delhi hat nämlich etwas zu verlieren, es exportierte 2024 Waren im Wert von 87,3 Mrd. US-Dollar in die Vereinigten Staaten und erwirtschaftete im Handel mit den USA einen beachtlichen Handelsbilanzüberschuss. [2]

"Der Kreml kritisierte die Zollandrohungen scharf. Diese seien 'illegal', erklärte Kremlsprecher Dmitrij Peskow. (…) 'Wir hören viele Aussagen, die praktisch nichts anderes sind als Drohungen und Versuche, Länder zu zwingen, den Handel mit Russland einzustellen', sagte Peskow bei einer Pressekonferenz. Dies sei nicht hinnehmbar. 'Wir glauben, dass souveräne Länder das Recht haben, ihre Handelspartner selbst zu wählen', fügte er hinzu." [3]

Womit Dmitrij Peskow unbestreitbar recht hat, die Vorgehensweise der USA ist tatsächlich illegal (für legale Sanktionen wäre ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates notwendig), aber das schert Donald Trump, wie man an vielen anderen Beispielen feststellen kann, einen Dreck. Sein Motto: Legal, illegal, scheißegal. Allerdings ist es schon eine höchst amüsante Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet Russland, das einen illegalen Eroberungskrieg führt, auf die Legalität beruft. Der Internationale Strafgerichtshof hat gegen Putin einen Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erlassen, doch der Kremlchef ruft ungeniert: "Haltet den Dieb!"

Das ist kaum auszuhalten: Die Irren spielen Pingpong, und wir können ihnen nur fassungslos zuschauen. Aber man kann ohnehin nichts machen. Wenn Elefanten Hochzeit feiern, sollten Mäuse in Deckung gehen. Zumindest im Westen wird sich auch keiner für Russland starkmachen. Und Indien? Die EU könnte dem Land ein attraktives Angebot unterbreiten, falls es wirklich kein russisches Öl mehr kauft. In dieser verrückten Welt könnten wir bei der Aufrechterhaltung des Welthandels Verbündete gut gebrauchen.

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[1] United States Census Bureau, Trade in Goods with Russia
[2] United States Census Bureau, Trade in Goods with India
[3] Spiegel-Online vom 05.08.2025