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06. August 2025, von Michael Schöfer
Mut zum Widerstand oder Selbstverzwergung?


Was befürchtet wurde, tritt nun wie von Kritikern prognostiziert ein: US-Präsident Donald Trump stellt schon gut eine Woche nach der Zollvereinbarung mit der EU zumindest Teile der Vereinbarung wieder infrage. Die Europäische Kommission interpretiert die am 27. Juli in Schottland getroffene Absprache wie folgt: "EU-Unternehmen haben Interesse daran bekundet, bis 2029 mindestens 600 Mrd. USD (ca. 550 Mrd. EUR) in verschiedene US-Sektoren zu investieren und so die bereits erheblichen Investitionen in Höhe von 2,4 Bio. EUR weiter aufzustocken." [1] Diese rechtlich unverbindliche Absichtserklärung hat das Weiße Haus bereits am 28. Juli etwas anders ausgelegt: "Die EU wird während der Amtszeit von Präsident Trump 600 Milliarden US-Dollar in den USA investieren. Diese neuen Investitionen kommen zu den über 100 Milliarden US-Dollar hinzu, die EU-Unternehmen bereits jedes Jahr in den USA investieren." [2]

Da die Europäische Union den Unternehmen mangels Rechtsgrundlage gar nicht vorschreiben kann, was diese wo und in welchem Umfang investieren sollen, haben wir jetzt durch die unterschiedlichen Interpretationen ("Interesse bekundet" vs. "die EU wird investieren") ein gravierendes Problem. Was stimmt denn nun? Das ist hier die Frage. Wie darf man sich Verhandlungen auf dieser Ebene überhaupt vorstellen? Die USA und die EU haben schließlich monatelang miteinander gesprochen. Sitzt man da nicht gemeinsam am Verhandlungstisch und hält in einem Protokoll en détail schriftlich fest, worauf man sich konkret geeinigt hat? Ohne unterschiedlichen Interpretationen Spielraum zu geben. Anscheinend nicht. Das lässt ein unglaubliches Maß an Dilettantismus vermuten. Und das wohlgemerkt auf beiden Seiten.

Aber es kommt noch besser: Trump behauptet nämlich neuerdings, "dass die von der EU im Rahmen des Zolldeals mit den USA zugesagten 600 Milliarden US-Dollar an Investitionen den Vereinigten Staaten zur freien Verfügung stünden. 'Sie haben uns 600 Milliarden Dollar gegeben, die wir in alles, was wir wollen, investieren können', sagte er in einem Gespräch mit dem Sender CNBC. Trump bezeichnete die Summe als 'Geschenk', das kein Darlehen sei und damit nicht etwa in drei Jahren zurückgezahlt werden müsse." [3] Das ist schon allein juristisch ein himmelweiter Unterschied zu dem, was die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen vereinbart haben will. Die EU-Kommission hat weder die Kompetenz noch die Haushaltsmittel, um den USA Geldgeschenke zu machen.

Außerdem kündigt sich noch ein weiteres Konfliktfeld an: Der Basiszollsatz von 15 Prozent sollte auch für Arzneimittel gelten, und zwar "bis die USA entscheiden, ob sie zusätzliche Zölle auf diese Waren gemäß Section 232 erheben". Obgleich es noch keinen schriftlich fixierten Vertrag gibt, ist der Moment offenbar schon gekommen. "Wir werden zunächst einen kleinen Zoll auf Arzneimittel erheben, aber in einem Jahr, maximal anderthalb Jahren, wird er auf 150 Prozent steigen und dann auf 250 Prozent", kündigte Trump an. [4] Da er sich dabei ausdrücklich auf deutsche und irische Pharmaunternehmen bezog und sich obendrein über das angeblich "sozialistische Gesundheitssystem in Deutschland" beklagte, berührt die Ankündigung nicht bloß Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz oder China, sondern auch das Handelsabkommen mit der EU. Was uns von der Leyen vor eineinhalb Wochen noch stolz präsentierte, löst sich nun peu à peu auf. Aber keineswegs in Wohlgefallen.

Der US-Präsident ist notorisch unzuverlässig und behandelt die EU wie einen Vasallen. Und die EU, die ökonomischen Widerstand durch Gegenzölle bloß angekündigt, sich aber nicht getraut hat, ihre Drohungen auch wahr zu machen, lässt es anscheinend mit sich geschehen. Absprachen mit Donald Trump haben eine extrem kurze Halbwertszeit, von daher wird es generell schwer sein, mit ihm eine verbindliche und langfristig gültige Absprache zu treffen. Und es wird sicherlich nicht bei der aktuellen Infragestellung bleiben. Von der Leyen müsste zum US-Präsidenten sagen: "Sorry, Donald, aber wir können und wollen dir keine Milliarden schenken." Vermutlich sinnt er dann auf Rache und droht der EU exorbitant hohe Strafzölle an. Doch was ist die Alternative? Wenn die EU abermals einknickt und den Vereinigten Staaten tatsächlich 600 Milliarden US-Dollar schenkt, ist die Unterwerfung perfekt. Dann weiß künftig jeder, mit der EU kann man Schlitten fahren. Unfassbar, diese Selbstverzwergung des größten Binnenmarktes der Welt.

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[1] Europäische Kommission vom 29.07.2025, Handelsabkommen zwischen der EU und den USA erklärt
[2] The White House vom 28.07.2025, Fact Sheet: The United States and European Union Reach Massive Trade Deal
[3] Der Standard vom 05.08.2025
[4] Der Standard a.a.O.