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13. August 2025, von Michael Schöfer
Alternative Fakten


US-Präsident Donald Trump hat vor kurzem die Leiterin der Arbeitsmarktstatistikbehörde, Erika McEntarfer, entlassen, weil ihm ihre Zahlen nicht gefielen. Nun, wo er recht hat, da hat er nun mal recht. Schlechte Arbeitsmarktdaten lassen selbst den König von Amerika in einem ungünstigen Licht erscheinen. Nicht, dass noch jemand anfängt, an seiner überragenden Wirtschaftskompetenz zu zweifeln. Gott bewahre! Zum Glück ist die Rettung schon in Sicht, Trump hat nämlich E. J. Antoni zum neuen Chef des Bureau of Labor Statistics nominiert. "Unsere Wirtschaft boomt, und E. J. wird dafür sorgen, dass die veröffentlichten Zahlen EHRLICH und GENAU sind", schrieb er auf Truth Social. Ist doch sonnenklar, dass ein MAGA-Kumpel mit Zahlen viel besser umgehen kann als die von Joe Biden als Agentin ins BLS eingeschleuste McEntarfer. Zumal sie, was bei der Angelegenheit erschwerend hinzukam, auch noch eine Frau ist. Und wie wir wissen, schätzt Donald Trump an Frauen alles, bloß nicht das, was sie zwischen den Ohren haben. You can grab ’em by the … Genau!

Antoni weiß, was er zu tun hat. "Es gibt bessere Möglichkeiten, Daten zu erheben, zu verarbeiten und zu verbreiten - das ist die Aufgabe des nächsten BLS-Kommissars. Nur die konsequente und zeitnahe Bereitstellung präziser Daten wird das in den letzten Jahren verlorene Vertrauen wiederherstellen." [1] Stimmt, Vertrauen ist in der Wirtschaft am allerwichtigsten. Man fühlt sich unwillkürlich an Kellyanne Conway und ihre "alternativen Fakten" erinnert. Was wohl aus Trumps innovativer Beraterin der ersten Amtszeit geworden ist? Egal, ihre bahnbrechende Idee lebt jedenfalls weiter und ist jetzt sogar wichtiger denn je. Nun, wo es wegen den Zöllen wirklich ans Eingemachte geht. Neben den Arbeitsmarktdaten könnte nämlich auch die Inflationsrate Unbill bereiten. Obgleich Zölle laut Trump natürlich allein die Ausländer zahlen, keinesfalls die amerikanischen Verbraucher, selbst wenn ein paar studierte Ökonomen starrsinnig etwas anderes behaupten. Und mit den Einfuhrzöllen will der Präsident die Staatskasse füllen. Genial, früher musste man dafür die Steuern anheben und wurde aufs Übelste beschimpft.

Diese Klarheit der Zahlen könnten wir auch in Deutschland gut gebrauchen! Sagen wir mal, für 2025 und 2026 jeweils ein reales BIP-Wachstum von 4,75 Prozent. Ach, warum so bescheiden? 5,0 Prozent hören sich doch viel besser an. Plötzlich geht über unserem Land die Sonne auf! Arbeitslosenquote 0,3 Prozent und eine Punktlandung bei der Inflation: 1,99 Prozent. Kaum Pleiten und fast keine Verkehrstoten, außerdem jährlich 800.000 fertiggestellte Wohnungen zu bezahlbaren Preisen. Alle, außer dem Statistischen Bundesamt, wären glücklich: Die Regierung bekommt bei den nächsten Wahlen locker die absolute Mehrheit, die AfD sackt ab in den einstelligen Bereich. Es könnte so einfach sein. Von Trump lernen heißt manipulieren lernen. Wobei, Manipulation ist dafür ein viel zu großes Wort. Eine klitzekleine Anpassung der Realität an das politisch Gewollte, mehr nicht. Weiß Ruth Brand eigentlich, was sie demnächst beruflich machen wird? Sie musste sich ja schon vor der letzten Bundestagswahl Kritik aus den Reihen der Union gefallen lassen. Und? Ist die Bundestagswahl etwa wunschgemäß ausgegangen? Eben!

Gewiss, es gibt hier und da noch ein paar Vorbehalte. Stänkerer erinnern hinterlistig an einen gewissen Erich Honecker ("Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf"). Der war zwar in der Wahrheitsenklave "Wandlitz" wohlbehütet untergebracht, musste aber notgedrungen ab und zu das von ihm regierte Werktätigenparadies besuchen. Und damit der Staatsratsvorsitzende keinen falschen Eindruck bekommt, hat man vorher in den von ihm passierten Straßenzügen die Hausfassaden frisch renoviert. Wohlgemerkt, bloß die Fassaden, nicht die Häuser. Man kann nachvollziehen, wie überrascht Honecker gewesen sein musste, als wider Erwarten nicht die BRD zerbröselte, sondern der Arbeiter- und Bauernstaat. Dabei schien die DDR, Verzeihung, die "DDR" doch immer so makellos in Schuss gewesen zu sein. Aber solche Enttäuschungen erlebt man zu unserer großen Erleichterung nur im Sozialismus, der Kapitalismus ist ein reines, von jeder Verlogenheit freies Streben nach Glück. Fragen Sie Donald, der muss es wissen.

Möglicherweise vorhandene Zweifel sollten wir deshalb rasch hintanstellen. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: In Wahrheit ist kein Mensch an der Wahrheit interessiert, die Welt will bekanntlich betrogen werden. Und das wird sie dann auch. Nach Strich und Faden. Stellen Sie sich vor, Bundeskanzler Friedrich Merz hüpft wie weiland Microsoft-Chef Steve Ballmer überdreht auf der Bühne herum und schreit begeistert: "5 Prozent Wachstum! 5 Prozent!" Glauben Sie, dass dann die Hauptstadtkorrespondenten der Gazetten die Nase rümpfen und sich erst einmal in aller Ruhe das Zahlenwerk zu Gemüte führen wollen? Oder etwa die Investoren an der Börse? Ach was, wenn alle an Wunder glauben wollen, geschehen auch welche. So einfach ist das. Insofern hat Donald Trump vollkommen recht: Wenn die Zahlen nicht passen, werden sie eben passend gemacht. Kommt es bei ihm noch auf ein alternatives Faktum mehr oder weniger an? Na, sehen Sie!

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[1] Süddeutsche vom 12.08.2025