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| Archiv | Impressum 06. September 2025, von Michael Schöfer Die Ratlosigkeit ist mit den Händen zu greifen Manchmal können einem Politiker echt leid tun, denn es fällt ihnen bestimmt schwer, die Bürgerinnen und Bürger richtig zu interpretieren. Nehmen wir etwa Sachsen-Anhalt, wo in einer aktuellen Umfrage die AfD (39 %) deutlich vor der CDU (27 %) liegt, was wiederum auf große Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik schließen lässt. 43 Prozent der Befragten sind mit der schwarz-rot-gelben Landesregierung unzufrieden, ihnen stehen bloß 32 Prozent gegenüber, die deren Arbeit positiv bewerten. [1] Schlechte Aussichten für die Landtagswahl im September 2026. Das mit Abstand wichtigste Thema ist dort: Flüchtlinge / Einwanderung / Asylpolitik / Integration. Was offen gesagt erstaunt, weil Sachsen-Anhalt zu den Bundesländern mit dem niedrigsten Ausländeranteil (8 %) gehört, nur in Mecklenburg-Vorpommern (7,0 %) und Brandenburg (7,5 %) ist er noch niedriger (Stand 31.12.2023). [2] Es herrscht offenkundig eine große Kluft zwischen der Stimmung in der Bevölkerung und den realen Verhältnissen. Doch wenn das größte Problem in den Augen der Bürgerinnen und Bürger eines ist, das objektiv betrachtet in diesem Ausmaß gar nicht existiert, hat es die Politik sicherlich nicht einfach. Überflüssig zu erwähnen, dass in ganz Ostdeutschland die fremdenfeindliche AfD derzeit in den Umfragen auf Platz 1 steht, obwohl dort der Ausländeranteil nur halb so hoch ist wie im bundesweiten Durchschnitt. Was passiert da? Ist das noch logisch erklärbar? Kehren wir zurück zur Bundesebene, wo allerdings die Widersprüche in den Umfragen nicht geringer sind. AfD-Anhänger sind dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend zufolge diejenigen, sie sich am meisten um den Wirtschaftsstandort Sorgen machen, ebenso um ihren künftigen Lebensstandard und den im Alter. Ähnlich hoch sind die Sorgen nur bei den Anhängern der Linken. Doch wenn es um die Frage geht, was die Politik dagegen tun soll, gehen die Ansichten stark auseinander. Lediglich 40 Prozent der AfD-Anhänger sind für die Anhebung der Steuern auf hohe Einkommen, und nur 27 Prozent befürworten eine Anhebung der Steuern auf hohe Erbschaften. Bei den Anhängern der Linken fällt die Zustimmung dazu mit 84 bzw. 68 Prozent viel höher aus. [3] Nach einer neuen Studie des ifo-Instituts ist die Einkommensungleichheit in Deutschland in den 1990er und 2000er Jahren stark gestiegen. [4] Die Vermögensungleichheit ist genauso immens. [5] Geht es bei uns gerecht zu? Diese Frage beantworteten vor zwei Jahren 63 Prozent der Befragten mit Nein. Die mangelnde Gerechtigkeit wurde damals am meisten von den Anhänger der Linken (74 %) und der AfD (93 %) beklagt. [6] Gleichzeitig, siehe oben, präferieren die AfD-Anhänger am wenigsten Maßnahmen, die der von ihnen beklagten Ungerechtigkeit am ehesten entgegenwirken würden (höhere Steuern auf hohe Einkommen und hohe Erbschaften). Das ist zurzeit das größte politische Paradoxon. Es ist ein bekanntes Kuriosum, dass die AfD-Anhänger unter den im Parteiprogramm niedergelegten Absichten der AfD am meisten zu leiden hätten. Doch wie reagiert man darauf? Die Ratlosigkeit der übrigen Parteien ist mit den Händen zu greifen. Hinzu kommt, dass deren Politik nicht dazu führt, die von der Bevölkerungsmehrheit als ungerecht empfundenen Verhältnisse abzubauen. Im Gegenteil, die zerstrittene schwarz-rote Bundesregierung macht einfach weiter wie bisher, will aber trotzdem wiedergewählt werden. Eine irre Strategie, die kaum aufgehen wird. Unfassbar. Was denken die sich dabei? Denken sie überhaupt? Die Zweifel daran wachsen. ----------
[1]
mdr vom 05.09.2025
[2]
Statistisches Bundesamt, Bevölkerung
nach Nationalität und Bundesländern
[3]
tagesschau.de vom 03.09.2025,
ARD-DeutschlandTREND September 2025, PDF-Datei mit 330 KB
[4]
ifo-Institut, Pressemitteilung vom
05.09.2025
[5]
Deutsche Bundesbank, Monatsbericht -
April 2025
[6] ZDF vom 15.09.2023, ZDF-Politbarometer
September 2023
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