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| Archiv | Impressum 18. September 2025, von Michael Schöfer Deutschland muss den Sanktionen zustimmen Bundeskanzler Friedrich Merz war bei Wiedereröffnung der Synagoge in München sichtlich angefasst: "Als Merz aus dem Buch von Rachel Salamander zitiert, kämpft er mit den Tränen. Er zitiert eine Passage, in der die Autorin als Tochter von Holocaust-Überlebenden ihre kindliche Frage schildert, 'ob denn den Juden niemand geholfen habe'." [1] Das war echt, denn um anderen seine Emotionalität in dieser Art und Weise vorzugaukeln, muss man ein guter Schauspieler sein. Und Merz ist kein guter Schauspieler, er ist ja noch nicht einmal ein guter Politiker. Nun ist der Kanzler bestimmt nicht der Einzige, der sich die quälende Frage stellt, warum den Juden während der Nazi-Diktatur bloß wenige geholfen haben. Das kann viele Ursachen gehabt haben: Gleichgültigkeit gegenüber deren Schicksal, Angst vor der Repression des Regimes, das durch die Allgegenwart von Spitzeln und Denunzianten hohe Entdeckungsrisiko, eine von Hass geprägte antisemitische Haltung etc. Es hat sicherlich viel Mut und zweifelsohne eine noch viel größere Portion Menschlichkeit erfordert, wenn manche es trotz allem getan haben. Vielleicht hat Merz dabei auch an seinen Großvater Josef Paul Sauvigny gedacht, der von 1917 bis 1937 Bürgermeister der Stadt Brilon war, 1933 der SA der Reserve beitrat und es dort bis zum Oberscharführer brachte. Insofern könnte der emotionale Umgang mit der Frage, ob den Juden damals niemand geholfen hat, auch ein Stück unaufgearbeitete Familiengeschichte widerspiegeln. Nun erleben wir derzeit im Gazastreifen einen Krieg, in dem Israel unzweifelhaft Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht. Und die sind auch durch den Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 nicht zu rechtfertigen, weil Israels unverhältnismäßige Kriegsführung weit über das Selbstverteidigungsrecht des Landes hinausgeht. Nicht wenige, darunter etliche Völkerrechtler, sind der Ansicht, dass dort sogar ein Genozid stattfindet. Die Anzeichen dafür verdichten sich, aber juristisch liegt die endgültige Bewertung selbstverständlich in den Händen des Internationalen Gerichtshofs. Wie dem auch sei, jedenfalls hätte es heute der Enkel von Josef Paul Sauvigny in der Hand, den geschundenen Palästinensern als Bundeskanzler im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten zu helfen. Natürlich kann Deutschland den Krieg im Gazastreifen nicht beenden, aber es kann der israelischen Regierung für alle sichtbar die Unterstützung entziehen. Die öffentlichen Ermahnungen sind ja offenbar nutzlos, die hat Benjamin Netanjahu längst eingepreist. Mit anderen Worten: Er hält sie anscheinend für irrelevant. Ob sie von deutscher Seite überhaupt ernstgemeint sind, wissen nur die Beteiligten selbst. Die Europäische Union plant neuerdings Sanktionen gegen Israel, aber die Entscheidung treffen die Mitgliedstaaten, nicht die EU-Kommission. "Für die Aussetzung der Handelserleichterungen ist die qualifizierte Mehrheit nötig - mindestens 15 der 27 Mitgliedsländer müssten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung ausmachen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es bei solchen Abstimmungen entscheidend auf Deutschland ankommt. Eine qualifizierte Mehrheit ohne Deutschland ist kaum hinzubekommen." [2] Die Bundesregierung hat noch nicht erkennen lassen, wie sie abstimmen wird. Friedrich Merz sollte sich trotz des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte dazu durchringen, mit der Zustimmung zu den geplanten EU-Sanktionen ein politisches Zeichen zu setzen. Schon allein um zu verhindern, dass sich künftig Menschen mit Tränen in den Augen fragen werden, wie die Welt der absolut inhumanen Kriegsführung im Gazastreifen zuschauen konnte und warum den Palästinensern niemand geholfen hat. Denn hinterher bloß festzustellen, die Völkergemeinschaft habe eben wie etwa in Srebrenica oder in Ruanda kläglich versagt, ist zu wenig. ----------
[1]
wdr vom 16.09.2025
[2]
tagesschau.de vom 17.09.2025
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