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18. November 2025, von Michael Schöfer
Die Erosion der Macht begann, bevor sie konsolidiert war


"Meiner Ansicht nach wird Friedrich Merz von seinen Anhängern überschätzt. Vielleicht überschätzt er sich auch selbst", schrieb ich schon vor fünf Jahren. [1] Das war zwei Jahre bevor Merz CDU-Vorsitzender wurde, drei Jahre vor seiner geringschätzigen Bemerkung, Olaf Scholz sei ein "Klempner der Macht", und vier Jahre vor dem arroganten Verdikt über den damaligen SPD-Kanzler "Sie können es nicht". Nun fällt Merz seine eigene Großspurigkeit auf die Füße.

Wie sich nämlich herausstellt, kann es Friedrich Merz noch viel weniger, denn bereits nach einem halben Jahr steht die schwarz-rote Koalition dort, wofür die vielgeschmähte Ampelregierung immerhin drei Jahre brauchte: ganz nah am Abgrund. Und das vor allem wegen der selbstverschuldeten Unfähigkeit, die Union zusammenzuhalten und als verlässlichen Regierungspartner erscheinen zu lassen. Merz' Taktik, als Oppositionsführer unhaltbare Versprechungen zu machen, aber noch am Wahlabend en passant jahrelang hochgehaltene Prinzipien preiszugeben (Schuldenbremse), taten ihr Übriges. Zwangsläufige Folge: Die Erosion der Macht begann, bevor sie konsolidiert war.

Wie viel mehr muss sich Angela Merkel bestätigt fühlen, weil sie Friedrich Merz 2002 den Fraktionsvorsitz abnahm. Sie hat wohl früh erkannt, dass Überheblichkeit und schnoddrige Bemerkungen allein noch lange keinen guten Bundeskanzler ergeben. Man kann viel Negatives über die 16-jährige Regierungszeit von Angela Merkel sagen, aber wie man sich gegen große Widerstände in den eigenen Reihen relativ geräuschlos an der Macht hält, hat sie in bewundernswerter Weise vorexerziert. Das verdankte sie nicht zuletzt ihrer klugen Personalpolitik. Merkels engster Machtzirkel bestand aus loyalen Unterstützern, die eigene Ambitionen im Interesse des Ganzen zurückstellten, was letztlich dem Machterhalt der eigenen Partei zugute kam. Der daraus resultierende "Kanzlerwahlverein" war allerdings die Kehrseite der Medaille.

Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, warum Friedrich Merz ausgerechnet dem ehrgeizigen (manche behaupten überehrgeizigen) Jens Spahn den Fraktionsvorsitz anbot. Spahn wird nachgesagt, er habe vor allem seine eigene Karriere im Blick, alles andere wäre bedeutungslos. Wie dem auch sei, der Fraktionsvorsitzende ist jedenfalls entweder unfähig oder unwillig, innerhalb der Unionsfraktion Mehrheiten zu organisieren, die dem eigenen Bundeskanzler den Rücken freihalten. Verlässliche Absprachen mit der Union? Offenbar ein Unding. Was sich schon bei der versemmelten Richterwahl von Frauke Brosius-Gersdorf abzeichnete, setzt sich nun mit der von der Jungen Union (JU) torpedierten Rentenpolitik fort: Ein Aufstand in den eigenen Reihen, der den Bestand der Koalition gefährdet. Da träumen vermutlich nicht wenige von einer Minderheitsregierung und dem damit verbundenen Fall der Brandmauer zur AfD. Die Konservativen haben allem Anschein nach nichts aus ihrem kläglichen Versagen am Ende der Weimarer Republik gelernt.

Hinzu kommen die sattsam bekannten "Schmutzeleien" von Markus Söder, der in der Rentenfrage genüsslich das Feuer schürt, obgleich er mit der von der CSU durchgesetzten Mütterrente selbst zum von der Jungen Union kritisierten Rentenpaket beigetragen hat. Eine verquere Logik, aber so ist er halt, der Maggus. "Ich finde, ihr habt schon gute Argumente, und man muss sie auch wägen und beachten. Und wir müssen darüber auch mit der SPD reden", sagte Söder auf dem Deutschlandtag der JU in Rust und ließ sich feiern. [2] Von der SPD erwartet er also Flexibilität, aber die Ausweitung der Mütterrente ist sakrosankt. Ein perfides Machtspiel über die Bande. Vielleicht kalkuliert Söder so: Wenn Merz stürzt, kann er möglicherweise doch noch Kanzler werden.

Davon, dass sich die Regierung selbst zerlegt, profitiert jedoch vor allem die AfD. Anstatt unter den Nägeln brennende Probleme zu lösen, etwa den Bau bezahlbarer Wohnungen voranzutreiben, betreiben die Regierenden im Wesentlichen Symbolpolitik und bedienen ihre jeweilige Klientel. Dieser Dilettantismus ist echt beängstigend.

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[1] siehe Das Kandidaten-Schaulaufen vom 15.02.2020
[2] Tagesspiegel vom 16.11.2025