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| Archiv | Impressum 08. Dezember 2025, von Michael Schöfer Absenkung des Rentenniveaus schadet gerade den Jungen "Obwohl diese Entwicklung seit langem bekannt ist, haben vergangene Regierungen vor dem demografischen Wandel stets die Augen verschlossen. Veränderungen an den sozialen Sicherungssystemen gingen zulasten der jungen Generation. Damit muss Schluss sein! Unsere Politik muss wieder enkelfähig werden. Die amtierende Regierung muss unsere sozialen Sicherungssysteme reformieren – sonst gehen Steuern und Sozialausgaben durch die Decke", schreibt die Junge Union im November in ihrem Beschluss "Neuer Generationenvertrag für Deutschland". "Angesichts der finanziellen Schieflage der Rentenversicherung dulden strukturelle Reformen bei der Rente keinen zeitlichen Aufschub. Um den Generationenvertrag zu stabilisieren, müssen daher im Gleichlauf mit dem angekündigten Rentenpaket die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rentenkommission eingesetzt und strukturelle Reformen im Bundestag beschlossen werden." [1] Nun sind die Änderungen beim demografischen Aufbau der Gesellschaft sicherlich nicht zu vernachlässigen, allerdings ist die Lage auch nicht so dramatisch, wie sie von der Jungen Union dargestellt wird. Finanzielle Schieflage? Die Deutsche Rentenversicherung erzielte in den vergangenen 30 Jahren einen Einnahmeüberschuss von insgesamt 20,6 Mrd. Euro, der Beitragssatz ist deshalb heute so niedrig wie 1995 (18,6 %). Die oft kritisierten Boomer mussten während ihres Arbeitslebens lange Zeit einen wesentlich höheren Beitragssatz entrichten, unter dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) stieg er sogar auf 20,3 Prozent. Ein bisschen weniger Wehleidigkeit und mehr Orientierung an den Fakten würde erheblich zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Von einer "finanziellen Schieflage der Rentenversicherung" kann also, anders als es die JU suggeriert, zurzeit nicht gesprochen werden. Insofern gibt es auch keinen Zeitdruck, die geforderten und sicherlich langfristig auch notwendigen strukturellen Reformen übers Knie zu brechen.
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![]() Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind die Ausgaben der Deutschen Rentenversicherung sogar niedriger als vor 30 Jahren. Der unproduktive (d.h. nicht erwerbstätige) Teil der Bevölkerung (Kinder, Schüler, Studenten, Rentner, Arbeitslose) musste schon von jeher einen Teil der Wertschöpfung in Anspruch nehmen. Der Anteil der Rentner ist bislang im Großen und Ganzen stabil und schwankt zwischen 9 und 10 Prozent des BIP.
![]() Notwendige Reformen aus der Sicht der JU sind unter anderem:
Aussagen über die künftige Höhe der Inflation sind naturgemäß
mit hoher Unsicherheit behaftet, aber zumindest seit der
Jahrtausendwende hätte die Rentenversicherung mit einer
Inflationsanpassung sogar mehr Geld auszahlen müssen. Bei den
tatsächlich erfolgten Rentenerhöhungen wurden nämlich zwischen
2000 und 2024 aus 2.000 Euro Rente 3.184,48 Euro, hätte man
die Renten jedoch entsprechend der Inflationsrate erhöht,
wären es 3.196,47 Euro gewesen. Über die Jahre hinweg wäre da
bei aktuell 26,1 Mio. Rentnern eine stolze Summe
zusammengekommen. Wenn die JU zugunsten der jüngeren
Generation Geld sparen will, ist die Anpassung der
Rentenerhöhungen an die Inflation unter Umständen
kontraproduktiv. Von vornherein billiger ist diese Lösung
jedenfalls nicht.
Kontraproduktiv
für die Jüngeren wäre wohl auch die Forderung nach geringeren
Rentenversicherungsbeiträgen für Eltern, denn gerade die
Jüngeren bekommen am wenigsten Kinder. Was das angeht waren
selbst die Boomer produktiver. Da das Geld logischerweise
irgendwo herkommen muss, bedeutet das eine höhere
Beitragsbelastung für die Kinderlosen - etwas, wovon die
Jüngeren daher überproportional betroffen wären. Die Junge
Union: Wir setzen "uns dafür ein, die Beitragssätze in der
gesetzlichen Rentenversicherung künftig nach der Anzahl der
Kinder zu differenzieren. Der Beitragssatz für kinderlose
Erwerbstätige soll dabei um einen Prozentpunkt, und für
Erwerbstätige mit einem Kind um 0,5 Prozentpunkte höher liegen
als der Beitragssatz für Erwerbstätige mit zwei oder mehr
Kindern." Ob das die gewünschte Wirkung erzielt, eine höhere
Geburtenrate, ist obendrein fraglich. Von der Bestrafung
bestimmter Lebensentwürfe ganz zu schweigen.
![]() Was die Junge Union leider nicht fordert, ist die Einbeziehung der Beamten und Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung. So wie es Österreich bereits vor zwei Jahrzehnten getan hat. Oder wie es in der Schweiz seit langem üblich ist. Das wäre gerecht, weil dann gleiche Bedingungen für alle herrschen. Und warum nicht die Rente generell durch Steuern finanzieren, sich also ganz von den Beiträgen der Erwerbstätigen lösen? Gewiss, ein ketzerischer Gedanke, aber das würde die Basis der Rente ebenfalls verbreitern, weil dann schließlich alle einzahlen müssten, also etwa auch Bezieher von Kapitalerträgen oder von Mieteinnahmen. Und je breiter die Finanzierungsbasis, desto niedriger fällt die Belastung für den Einzelnen aus. Ebenso wenig spielt bei der Jungen Union die Zuwanderung von Migranten in den Arbeitsmarkt eine Rolle. Hierzu schreibt die keineswegs als links einzustufende Bertelsmann Stiftung: "Ohne Zuwanderung sinkt die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland bis 2040 um 10 Prozent", die Zahl der Arbeitskräfte würde "von derzeit 46,4 Millionen ohne zusätzliche Einwanderer:innen bis 2040 auf 41,9 Millionen und bis 2060 auf 35,1 Millionen zurückgehen. Um den Bedarf des zukünftigen Arbeitsmarkts zu decken und das Erwerbspersonenpotenzial nicht einbrechen zu lassen, braucht es bis 2040 jährlich rund 288.000 internationale Arbeitskräfte." [7] Dazu bräuchte es jedoch neben einer entsprechenden Willkommenskultur zum Beispiel auch eine wirksame Wohnungsbau- und Mietenpolitik. Oder fühlt sich die Junge Union von diesem vernetzten Denkansatz überfordert? Man darf gespannt sein, welche Vorschläge die Rentenkommission im nächsten Jahr machen wird. Ich befürchte freilich, dass dabei die Interessen der Arbeitnehmer (= der künftigen Rentner) unterrepräsentiert sind. Meist kommen ja die schlimmsten Vorschläge für den Umbau der Rentenversicherung von denen, die von den Auswirkungen gar nicht betroffen sind: von vergleichsweise gut versorgten Abgeordneten, Beamten und Professoren. Und wenn man nicht betroffen ist, gehen einem die Forderungen nach Absenkung des Rentenniveaus wesentlich leichter über die Lippen, denn ausbaden müssen es schließlich andere, was dann aber wiederum zu verständlichem Frust bei den tatsächlich Betroffenen führt. Mit allen daraus resultierenden Folgen für die Stabilität der Demokratie. Die beste Förderung der Demokratie ist sowieso eine gerechte Sozialpolitik. ----------
[1]
Junge Union, Neuer
Generationenvertrag für Deutschland, Beschluss des 77.
Deutschlandtages der Jungen Union Deutschlands vom 14. - 16.
November 2025 in Rust, PDF-Datei mit 228 KB
[2]
Deutsche Rentenversicherung,
Rentenversicherung in Zeitreihen 2025, Seite 238, PDF-Datei
mit 3,3 MB
[3]
Deutsche Rentenversicherung, a.a.O. Seite 260
[4]
Deutsche Rentenversicherung, a.a.O Seite 239 und Statistisches Bundesamt, Tabelle
81000-0001 VGR des Bundes - Bruttowertschöpfung,
Bruttoinlandsprodukt
[5]
Deutsche Rentenversicherung, a.a.O. Seite 259 und Statistisches Bundesamt, Tabelle
61111-0001 Verbraucherpreisindex (Hinweis: Aufgrund der
Wiedervereinigung fielen die Rentenanpassungen bis 2023 in
Ost- und Westdeutschland unterschiedlich aus. Die im Osten
waren in Schnitt höher als die im Westen, weshalb ich mich
hier auf die Rentenanpassungen in Westdeutschland
beschränke.)
[6]
Statistisches Bundesamt,
Lebendgeborene je 1000 Einwohner, Tabelle 12612-0019
[7] Bertelsmann Stiftung, Zuwanderung und
Arbeitsmarkt
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