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| Archiv | Impressum 24. Dezember 2025, von Michael Schöfer Das Völkerrecht gilt auch in der Karibik Warum liest man in der deutschen Presse so wenig über die begrenzte rechtliche Gültigkeit von Sanktionen? Als der Tanker "Eventin", den man der russischen Schattenflotte zurechnet, wegen eines Maschinenschadens vor der Insel Rügen liegenblieb, wollten der deutsche Zoll das Schiff mitsamt seiner Ladung beschlagnahmen. Begründung: Beides, Schiff und Ladung, falle unter die EU-Sanktionen. Eine Interpretation, die von der hiesigen Presse bereitwillig übernommen oder der zumindest nicht klar genug widersprochen wurde. Stillschweigende Zustimmung? Völkerrechtlich reicht die Jurisdiktion (rechtliche Zuständigkeit) von Staaten oder Staatengemeinschaften in der Regel lediglich bis zur eigenen Staatsgrenze. Es sei denn, völkerrechtliche Verträge erlauben ausdrücklich etwas anderes, etwa die nach dem UN-Seerechtsübereinkommen erlaubte Nutzung der ausschließlichen Wirtschaftszone (vgl. Teil V des UN-Seerechtsübereinkommens). Für Sanktionen, die über die eigene(n) Staatsgrenze(n) hinausreichen, ist ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates notwendig. Letzterer fehlt allerdings oft. Die Sanktionen der Europäischen Union gegen die russische Schattenflotte untersagen den Zugang zu Häfen in der EU, den Empfang von Seeverkehrsdiensten und die Einfuhr von Rohöl und raffinierten Erdölerzeugnissen aus Russland. (Seeverkehrsdienste sind logistische Dienstleistungen wie Frachtumschlag, Lagerung und Einlagerung, Zollabfertigung, Containerstellplatz- und Depotdienstleistungen, Hafen- und Binnenlanddienstleistungen, Schifffahrtsagenturdienste und Speditionsdienstleistungen.) Völkerrechtlich gelten sie bloß auf dem Staatsgebiet der EU-Mitgliedstaaten und erstrecken sich nicht auf den Handel von Russland mit Drittstaaten. Indirekte Sanktionen, etwa gegen Reedereien, die Transportdienstleistungen für Russland anbieten, oder gegen Versicherungsgesellschaften, die dafür benutzte Handelsschiffe versichern, sind indes zulässig. Ihnen können Geschäfte innerhalb der EU ebenfalls untersagt werden. Wohlgemerkt, innerhalb der EU, nicht weltweit. Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen genießen Handelsschiffe jedoch das Recht auf friedliche Durchfahrt, selbst wenn sie dabei Küstengewässer (Hoheitsgebiete fremder Staaten) benutzen bzw. in Meerengen zwangsläufig benutzen müssen. Im vorliegenden Fall kam hinzu, dass die Eventin keinen Hafen der EU ansteuerte, sondern durch einen Motorschaden in Seenot geriet. Hierzulande wurde viel zu selten über diesen Sachverhalt aufgeklärt, weshalb es zu Missverständnissen und Falschinterpretationen kam, aber zum Glück sind deutsche Gerichte laut Grundgesetz ans nationale Recht und ans Völkerrecht gebunden (siehe Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 25 GG). Der Bundesfinanzhof in München hatte daher "begründete Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der Einziehung durch den deutschen Zoll. Der Tanker sei nicht absichtlich in EU-Gewässer gefahren, sondern nach der Havarie nicht willentlich in EU-Gewässer getrieben. "In einer durch technische Defekte ausgelösten Seenotsituation, in der ein Schiff manövrierunfähig treibt und lediglich durch äußere Umstände (Wind, Strömung) in Gewässer der Union gelangt, ist das Vorliegen eines willensgetragenen Verbringens im Sinne dieser Vorschrift ernstlich zweifelhaft." Insofern sei das unter die EU-Sanktionen fallende Tatbestandsmerkmal des "Verbringens gelisteter Waren in das Zollgebiet der Union" nicht erfüllt. Zudem müssten "die Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (...) ‑ insbesondere das Recht auf friedliche Durchfahrt - und das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Nothafenrecht berücksichtigt werden". [1] Deshalb ist der Beschluss des BFH im Grunde keine Überraschung. Dieses Rechtsprinzip gilt naturgemäß auch in der Karibik. Ob man Sympathien für den venezolanischen Diktator Nicolás Maduro hat oder nicht, ist vollkommen irrelevant. Entscheidend ist, dass sich die Jurisdiktion amerikanischer Sanktionen ebenfalls nur auf das Staatsgebiet der Vereinigten Staaten beschränkt. Für Öltanker, die nach Venezuela fahren oder die Häfen des Landes verlassen, gilt daher das UN-Seerechtsübereinkommen. Wenn also die USA Öltanker in der Karibik aufbringen, Schiff und Ladung auf ausdrückliche Anweisung des US-Präsidenten sogar behalten wollen [2], stellt sich die naheliegende Frage, auf welcher Rechtsgrundlage das Ganze beruht. US-Außenminister Marco Rubio müsste es eigentlich wissen, denn er hat Jura studiert und arbeitete vor seiner politischen Karriere als Anwalt, aber Fakten spielen bei der derzeitigen US-Regierung keine Rolle mehr. Kurioserweise handelt sie nach der alten Maxime linker Aktivisten "legal, illegal, scheißegal". Der Verdacht, die Trump-Administration sei irgendwie "woke", will sich trotzdem nicht aufdrängen. Donald Trump kann zwar eine "vollständige und komplette Blockade aller sanktionierter Öltanker auf dem Weg von und nach Venezuela" verhängen, aber außerhalb der USA nicht durchsetzen. Jedenfalls nicht de jure. Er kann es nur de facto, durch militärische Gewalt, in diesem Fall ist sein Handeln freilich illegal. Es gilt dann eben bloß das Recht des Stärkeren, aber nicht die Stärke des Rechts. Doch auch das wird von der Presse überwiegend ignoriert, über die gültige Rechtslage viel zu selten aufgeklärt. Warum eigentlich? Wie würden wir reagieren, wenn Russland oder China westliche Handelsschiffe und deren Ladung irgendwo auf der Welt mit militärischen Mitteln beschlagnahmen würden? Und das jeweils unter Berufung auf ihr nationales Recht. Chinesische Fregatten stoppen deutsche Handelsschiffe im Südchinesischen Meer, russische Kriegsschiffe entern deutsche Handelsschiffe im Atlantik. Da würden wir zweifellos rasch von einem Akt der Piraterie sprechen. Und das zu Recht. Manche würden ein solches Vorgehen sogar als Casus Belli interpretieren. Aber gilt dies nicht auch umgekehrt? Das Völkerrecht ist für alle verbindlich. Und wir können nicht kritisieren, dass es von Russland oder China missachtet wird, während wir (der Westen) das Gleiche tun oder insgeheim billigen. ----------
[1]
BFH, Beschluss vom 26.11.2025, VII B
80/25 (AdV)
[2]
ZDF vom 23.12.2025
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