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12. März 2007, von Michael Schöfer
Internet-Zensur in Frankreich


Was haben Ägypten und Frankreich gemeinsam? Nun, in beiden Ländern geht die Staatsmacht gegen die freie Berichterstattung im Internet vor, zensiert unliebsame Veröffentlichungen und bedroht deren Urheber mit hohen Gefängnisstrafen.

Der ägyptische Blogger Wael Abbas ist mutig, denn er publiziert in seinem Weblog Fotos und Videos von Folterungen in ägyptischen Polizeistationen. Deshalb steht Abbas stets mit einem Bein im Gefängnis. Im demokratischen Musterstaat Ägypten (Achtung: Ironie!) wird so etwas von den Machthabern nämlich nicht gern gesehen. Kürzlich wurde etwa der 22-jährige Student Abdel Karim Suleiman aus Alexandria zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er in seinem Weblog die Zustände in Ägypten offen beim Namen nannte. [1]

In Frankreich hat der Verfassungsrat gerade ein Gesetz bestätigt, das "das Filmen von Polizeigewalt sowie die Veröffentlichung dieser Videos auf Internetseiten unter Strafe" stellt. "Nur Journalisten dürfen demnach Gewaltszenen legal filmen. Offiziell richtet sich das Gesetz, das Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy vorgeschlagen hat, gegen das unter Jugendlichen verbreitete 'Happy Slapping'. Darunter versteht man Videofilme, die von Jugendlichen gedreht werden: Sie zeigen brutale Angriffe auf Außenstehende, beispielsweise in Straßenbahnen. Die Täter prügeln auf ihre Opfer ein und verschwinden meist unerkannt. Die Videos werden dann per Handy oder Videoportale im Internet ausgetauscht." [2]

Doch das Gesetz lässt sich bei Bedarf auch leicht gegen die Dokumentation von polizeilichen Übergriffen verwenden. Am 03.03.1991 filmte ein gewisser George Holliday von seinem Balkon aus die Misshandlung des schwarzen US-Bürgers Rodney King durch Beamte des Los Angeles Police Department (LAPD). "Mit mehr als 50 Stockschlägen und sechs Tritten traktierten sie den Schwarzen selbst noch dann, als der sich anfangs noch widersetzende King längst überwältigt war." Rodney King erhielt am Ende 3,8 Millionen Dollar Schmerzensgeld. [3] Wäre das Ganze in Frankreich passiert, könnte man Holliday nun zu einer Geldstrafe von 75.000 Euro und zu fünf Jahren Haft verurteilen. Darüber hinaus plant die französische Regierung ein "Zertifizierungssystem für Webseiten, Bloghoster, Mobilfunkanbeiter und Internetserviceprovider (...) bei dem die Anbieter als von der Regierung zugelassene Informationsquellen gekennzeichnet werden, wenn sie sich an bestimmte Regeln halten." [4]

Dass man das Internet zensiert, ist nicht neu. Neu ist, dass dies sogar in dem Land geschieht, das uns die französische Revolution geschenkt hat. Bislang kannte man derartige Gesetze bloß von Staaten wie China, Vietnam oder Ägypten. Wäre so ein Gesetz auch in Deutschland möglich? Vermutlich nicht, denn in Artikel 5 Grundgesetz heißt es: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (...). Eine Zensur findet nicht statt." Die Betonung liegt auf "jeder", nicht auf "Journalisten". Das französische Gesetz wäre daher in Deutschland eindeutig verfassungswidrig. Ob es, falls es zum Streitfall kommt, vor dem Europäischen Menschengerichtshof Bestand haben wird, darf bezweifelt werden. Denn dessen "Aufgabe ist es sicherzustellen, dass die Vertragsparteien der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) die durch die Ratifizierung übernommenen Verpflichtungen einhalten." [5]

Wie sehr mittlerweile in Europa die Meinungsfreiheit peu à peu eingeschränkt wird, belegt das französische Zensurgesetz. Unabhängige und damit unbequeme Berichterstattung ist beim Establishment nirgendwo erwünscht. Aber es ist gerade das Merkmal von Demokratien, unliebsame Meinungen zu schützen, denn die Meinungsfreiheit ist, wie das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich erneut bekräftigte, "konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung". Ziel und Resultat der französischen Revolution war u.a. die Garantie der Meinungsfreiheit. Jetzt wird dieses demokratische Prinzip ausgerechnet in Frankreich missachtet. Da läuten bei mir sämtliche Alarmglocken.

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[1] siehe Ägyptischer Blogger verurteilt vom 01.03.2007
[2] Süddeutsche vom 09.03.2007
[3] Wikipedia
[4] Berliner Umschau vom 08.03.2007
[5] Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsphilosophie, Universität des Saarlandes