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26. Juli 2007, von Michael Schöfer
Die Marktmacht des Zuschauers


Michael Rasmussen, Patrik Sinkewitz, Cristian Moreni und Alexander Winokurow - sie alle sollen gedopt haben und dürfen daher nicht mehr bei der diesjährigen Tour de France mitfahren. Bekanntlich wird nicht nur bei den Radfahrern betrogen, auch in anderen Sportarten ist Doping ein weitverbreitetes Übel. Kein Wunder, geht es doch beim Sport zumeist um sehr viel Geld. Der Olympische Eid ("Im Namen aller Athleten verspreche ich, dass wir an den Olympischen Spielen teilnehmen und dabei die gültigen Regeln respektieren und befolgen und uns dabei einem Sport ohne Doping und ohne Drogen verpflichten, im wahren Geist der Sportlichkeit, für den Ruhm des Sports und die Ehre unserer Mannschaft.") steht leider allzu oft bloß auf dem Papier. Erfolgreiche Spitzensportler haben die äußerst verlockende Aussicht, Millionär zu werden. Dafür tun etliche mehr als die Regeln erlauben. Wo viel Geld im Spiel ist, wird eben viel betrogen. Der Egoismus siegt deshalb häufig über die Moral, und der Weg führt vom Spitzensport zum Spritzensport.

Die Anwendung von unfairen Mitteln kann man wohl nie völlig ausschließen, man kann sie höchstens durch strikte Kontrollen eindämmen. Aber der Kampf gegen das Doping ist nicht nur die Angelegenheit der Aktiven, auch wir Zuschauer sind gefordert. Die Marktmacht des Zuschauers ist, getreu dem kapitalistischen Ideal von Angebot und Nachfrage, riesengroß. Veranstaltungen wie die Tour de France leben hauptsächlich von Werbeeinnahmen. Und die Werbung wiederum lebt von den Zuschauern. Es ist nämlich das Ziel der Werbetreibenden, ein möglichst großes Publikum (= potenzielle Konsumenten) an den Bildschirmen, in den Stadien und neben den Rennstrecken zu erreichen. Allein aus diesem Grund fließen die Millionengagen in die Taschen der Veranstalter und Aktiven.

Ob Marco Pantani den Anstieg nach L'Alpe d'Huez in 37 Minuten und 35 Sekunden bewältigt, interessiert doch erst, wenn Millionen Menschen daran Anteil haben wollen und zuschauen. Ohne Zuschauer könnte er den Anstieg in 20 Minuten bewältigen - die Welt würde sich einfach weiterdrehen, ohne überhaupt von ihm Notiz zu nehmen. Der starke Zuwachs bei den Sportlergagen begann erst mit der Verbreitung von Film und Fernsehen, vorher waren die Athleten vergleichsweise arme Schlucker (in unattraktiven Sportarten sind sie es noch heute). Sagen wir es ruhig: Sport ist ein Geschäft. Das gilt es auszunutzen.

Der Träger des Gelben Trikots, Michael Rassmussen, sei, wie wir lesen, von den Zuschauern ausgebuht worden. So etwas ist den mutmaßlichen Betrügern egal, solange sie weiterfahren und ihr Bankkonto füllen dürfen. Doch wie wäre es, wenn wir Zuschauer uns von solchen Veranstaltungen konsequent fern hielten? Man stelle sich vor: das Feld der Radprofis ohne das Spalier der Radsportbegeisterten. Am legendären Anstieg zu L'Alpe d'Huez keine Menschenseele, im Olympiastadion gähnende Leere und keiner daheim vor den Fernsehgeräten. Werbeeffekt für die Wirtschaft gleich null. Dann würden die Verantwortlichen der Misere schnell merken, dass sie sich mit ihren Betrügereien selbst die Einnahmen abgraben, von denen sie leben. Solange sich jedoch immer wieder genügend Zuschauer einfinden, wird sich am Dopingsumpf nichts grundlegend ändern. Einfach mal ausprobieren: Zuschauerboykott. Wer dennoch hingeht oder zuschaut, darf sich über weiter anhaltenden Betrug nicht aufregen. Selbst schuld.