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05. August 2007, von Michael Schöfer
Christentum und Sexualität


Kürzlich sah ich eine Talk-Show, zu der u.a. der Chefredakteur eines christlichen Magazins eingeladen war. Zu meinem größten Erstaunen verstieg sich dieser zu der Behauptung, das Christentum habe viel zur Befreiung der Sexualität beigetragen. Ich traute meinen Ohren nicht. Und, was noch viel schlimmer war, keiner der anderen Gesprächsteilnehmer widersprach.

In Wahrheit ist das Christentum in hohem Maße sexualfeindlich. So hat sich etwa Origines (185-254 n.Chr.), einer der bedeutendsten frühkirchlichen Theologen, im zarten Alter von 18 Jahren in seinem Streben nach christlicher Vollkommenheit selbst kastriert. [1] Heute würde man ihn dafür wohl in eine Klinik einweisen.

Und der "heilige" Benedikt (480-547 n.Chr.), das ist der, der den Benediktinerorden gründete, wälzte sich einmal nackt in einem dichten Nessel- und Dornengestrüpp, weil er eine Frau sah, deren Schönheit in ihm die Leidenschaft entfachte. [2]

Augustinus (354-430 n.Chr.) schließlich, einer der einflussreichsten Kirchenväter, räumt zwar ein, dass der Geschlechtsverkehr in der Ehe keine Sünde ist. Voraussetzung sei aber, dass er nur dazu dient, Nachkommen zu zeugen. Doch selbst unter dieser Bedingung sollte man beim Geschlechtsakt keine Lust empfinden. [3] Dabei war Augustinus beileibe kein Frauenfeind. Immerhin gesteht er vergewaltigten Frauen zu, durch diesen barbarischen Akt nicht befleckt zu werden. Allerdings nur, sofern sie bei der Vergewaltigung kein Vergnügen empfinden. [4]

Sie sagen jetzt vielleicht, das ist lange her und darf deshalb nicht mehr als beispielhaft herangezogen werden? Nun, wie denken Sie darüber?: "Verheiratete sind berufen, in ehelicher Keuschheit zu leben; die anderen leben keusch, wenn sie enthaltsam sind. (...) Um in Keuschheit zu leben, bedürfen Mann und Frau der immerwährenden Erleuchtung durch den Heiligen Geist." [5] Oder: "Unbeherrschte Sexualität brennt und plündert den Menschen aus, sie macht ihn zur Ruine und erniedrigt den Anderen. Die Keuschheit bewahrt den Menschen in seiner seelischen und körperlichen Integrität, so dass er dem Anderen zum Geschenk wird. Der keusche Mensch ist derjenige, der nicht mehr vom Trieb determiniert ist, sondern von der Gnade Gottes befreit, alle Kräfte seines Seins für Andere einzusetzen weiß." [6]

Diese Zitate bemänteln die christliche Sexualfeindlichkeit etwas, bedeuten aber im Grunde nichts anderes. Kurzum: So wenig die Kirche zu Demokratie und Wissenschaftlichkeit beigetragen hat, so wenig hat sie einen Beitrag zur Befreiung der Sexualität geleistet. Im Gegenteil, all dies wurde gegen den hartnäckigen Widerstand des Christentums errungen.

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[1] Uta-Ranke-Heinemann, Eunuchen für das Himmelreich, Hamburg 1989, Seite 55
[2] Bertrand Russel, Philosophie des Abendlandes, München 2004, Seite 391
[3] Russel, a.a.O., Seite 372
[4] Russel, a.a.O., Seite 369
[5] Deutsche Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 127, Päpstlicher Rat für die Familie, Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung, 13.05.1996, PDF-Datei mit 772 kb
[6] Deutsche Bischofskonferenz, Predigt des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner, anlässlich der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Mainz am 15. März 2000