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01. Oktober 2007, von Michael Schöfer
Ausgerechnet Köhler


"Bundespräsident Horst Köhler hat eine wachsende Ungleichheit in Deutschland beklagt und hat zu mehr Fairness und Miteinander aufgerufen. 'Die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland hat zugenommen', sagte Köhler am Montag in seiner zweiten Berliner Rede. Im Zuge des schärferen weltweiten Wettbewerbs seien die Einkünfte aus Kapitalerträgen viel stärker gestiegen als die Löhne und Gehälter. 'Der Aufstieg der einen darf nicht der Abstieg der anderen sein', fügte Köhler hinzu." [1] Recht hat er, das ist genau das, was viele schon seit langem beklagen. Doch die Kritik an der Ungleichheit in Deutschland war bislang vor allem auf die linke Seite des politischen Spektrums beschränkt. Bekanntlich steht Köhler dieser aber eher fern. Und jetzt so etwas, ausgerechnet von ihm. Der Bundespräsident, immer ein entschiedener Befürworter der Globalisierung, hat früher nämlich ganz anders geredet und sich damit zum Fürsprecher einer Politik der Ungleichheit gemacht, die er nun lauthals beklagt. Beispiele gefällig?

"Es sind dicke Reformbretter, die wir bohren müssen. Ein mutiger Anfang ist mit der Agenda 2010 gemacht. Er wird eine positive Wirkung entfalten. Doch wir müssen unseren Menschen ehrlich sagen, dass wir es damit noch nicht geschafft haben. Wir brauchen einen modernen Sozialstaat, der mit einer nachhaltigen öffentlichen Finanzwirtschaft vereinbar ist. Wir brauchen ein effizientes Steuersystem, das Leistung belohnt, aber auch dem Staat gibt, was des Staates ist." Köhler wirbt deshalb für eine "Ordnung der Freiheit". Er versteht darunter: "Die Bürger beauftragen den Staat, die Spielregeln zu setzen. Aber das Spiel machen die Bürger. Die Regeln lauten: Privateigentum und Vertragsfreiheit, Wettbewerb und offene Märkte, freie Preisbildung und ein stabiles Geldwesen, eine Sicherung vor den großen Lebensrisiken für jeden und Haftung aller für ihr Tun und Lassen. Der moderne Sozialstaat schützt vor Not; aber er gaukelt nicht vor, dem Einzelnen den einmal erreichten Lebensstandard garantieren zu können." Nachtwächterstaat nennen das manche. Köhler weiter: "Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren Lohnzurückhaltung geübt. Damit haben sie einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geleistet. Das verdient Anerkennung. Dieser Pfad muss fortgesetzt werden. (...) Niedrigere Arbeitskosten, ein flexibler Arbeitsmarkt, ein vernünftiges Steuersystem und deutlich weniger Bürokratie: All das wird uns helfen, unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern." [2] Das typisch neoliberale Blabla.

In einem Interview mit dem Manager-Magazin beklagte er 2003 "übermäßiges Besitzstandsdenken" und natürlich "die Überregulierung des Arbeitsmarktes". Als Rezept empfahl er eine Forcierung der Agenda 2010 und regte an, "mehr Differenzierung von Lohnabschlüssen auf Betriebsebene zuzulassen". Zudem forderte Köhler die Renten-, und Gesundheitsversicherung "dringend von unbezahlbaren Ansprüchen" zu befreien. Auf den Hinweis des Manager-Magazins "Die Linke behauptet, solche Forderungen laufen auf Sozialabbau hinaus" entgegnete er: "Es geht darum, den Sozialstaat für das 21. Jahrhundert fit zu machen, nicht ihn abzuschaffen. (...) Bei dem überfälligen Umbau des Arbeits- und Sozialsystems lassen sich soziale Härten nicht durchweg vermeiden." [3] In einem anderen Interview mit der "Welt", das kurz nach seiner Wahl zum Bundespräsident geführt wurde, sagte Horst Köhler am 10.07.2004 zur ungleichen Einkommensverteilung: "In unserem Land existiert eine mentale Schieflage. Die Menschen empfinden Ungleichheit eben nicht als Ansporn, ihre eigene Situation zu verbessern, sondern nur als Bestätigung, wie schlecht es ihnen geht. Natürlich erkenne ich die Unterschiede in der Belastung der Menschen. Aber noch einmal: Gleichmacherei dient am Ende niemandem." [4] Mit anderen Worten: Ungleichheit hilft.

Es ging ihm in der Vergangenheit mit der Agenda 2010 nie schnell und einschneidend genug. Dabei ist doch u.a. gerade die Agenda 2010 für die krasse Ungleichverteilung in Deutschland verantwortlich. Wer mit 50 arbeitslos wird, weil sein Betrieb Pleite macht oder einfach nur die Ertragslage verbessern will, findet sich gegenwärtig, sofern er keinen neuen Arbeitsplatz findet, innerhalb eines Jahres auf Sozialhilfeniveau wieder. Er ist dann mit Menschen gleichgestellt, die möglicherweise noch nie gearbeitet haben. Dass er vielleicht 30 Jahre lang brav seine Sozialabgaben gezahlt hat, ist vollkommen unerheblich. Im Grunde eine Enteignung. Und was hat Köhler dazu zu sagen? Die Arbeitslosenversicherung sei kein individueller Sparvertrag, sondern vielmehr eine Risikoversicherung, behauptet er lapidar. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nach Einzahlungszeit zu staffeln, würde seiner Meinung nach das Versicherungsprinzip schwächen. "Ich rate dazu, den mit der Agenda 2010 eingeführten Paradigmenwechsel in der Arbeitslosenversicherung nicht rückgängig zu machen." [5] Undifferenzierte Kürzungen im Sozialbereich trafen bei Köhler stets auf Zustimmung, und für die Forderung nach Lohnspreizung und Lohnzurückhaltung hatte er ebenfalls ein Faible. Alles zum Wohle der Wettbewerbsfähigkeit, versteht sich. Was anderes, als die von ihm gerügte Ungleichheit, hätte dabei eigentlich herauskommen sollen? Erst etwas initiieren und sich dann die Folgen echauffieren. Es ist fraglich, ob man diese Politik wirklich klug nennen soll. Nein, sie ist dumm. Außerordentlich dumm. Und darüber hinaus ungerecht.

Was will uns der Bundespräsident mit seiner jetzigen Haltung mitteilen? Dass er dazugelernt hat? Oder ist das bloß der für Politiker unerlässliche Schuss Populismus, vielleicht um sich rechtzeitig für eine zweite Amtszeit zu empfehlen? "Nach der aktuellen Zusammensetzung der Bundesversammlung haben Union und FDP noch eine knappe Mehrheit. Das nur für die Wahl eines Bundespräsidenten zusammentretende Organ setzt sich aus den 613 Bundestagsabgeordneten und einer gleich großen Zahl von Delegierten zusammen, die von den Landtagen bestimmt werden. (...) Im kommenden Jahr wird vier Mal gewählt - in Niedersachsen, Hessen und Hamburg im Winter sowie in Bayern im Herbst. Bei diesen Wahlen könnten vor allem CDU und CSU Stimmen in der Bundesversammlung verlieren, weil sie bei den vorherigen Landtagswahlen besonders gut abschnitten." [6] Sich links geben, könnte sich also lohnen. Zumindest für Köhler, denn in der SPD wird bereits offen über seine Nachfolge spekuliert. Selbst in der CDU ist er nicht unumstritten. Da gilt es, sich möglichst nach allen Seiten abzusichern.

Für naive Betrachter der politischen Szene hat Köhler immer die jeweils passenden Äußerungen parat. Da bekommen dann ab und zu auch die Unternehmer ihr Fett weg. Es schadet ihnen ja nicht, gelegentlich ein bisschen Kritik einzustecken. Hauptsache die Kasse stimmt. Und dafür haben Köhler & Co. mit ihrem neoliberalen Gesülze gesorgt. Sogar ganz ordentlich, wie die Einkommens- und Vermögensstatistik belegt. In meinen Augen sind die aktuellen Äußerungen des Bundespräsidenten deshalb absolut unglaubwürdig. Wenn Wölfe demonstrativ über Opfer in den Reihen der Schafe jammern, dürfen sie nicht darauf hoffen, dass man ihnen das auch noch abkauft.

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[1] Die Welt-Online vom 01.10.2007
[2] Bundespräsident.de, Rede von Bundespräsident Horst Köhler beim Arbeitgeberforum "Wirtschaft und Gesellschaft" in Berlin am 15.03.2005
[3] International Monetary Fund
[4] Bundespräsident.de
[5] Spiegel-Online vom 22.11.2006
[6] Netzeitung vom 10.07.2007