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22. Dezember 2007, von Michael Schöfer
Wenn zwei das Gleiche sagen...


...meinen sie noch lange nicht dasselbe. "700 Euro mehr zum Leben im Neuen Jahr", sagen die Marktforscher von GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) für das nächste Jahr voraus. "Die deutschen Verbraucher werden im Jahr 2008 durchschnittlich rund 700 Euro mehr Konsumpotenzial haben als im laufenden Jahr. Die Kaufkraft wächst mit rund 3,8 Prozent deutlich stärker als die Inflation." Welch positive Nachricht, vermutlich unterstellt das Marktforschungsinstitut den Gewerkschaften in Bezug auf die kommenden Tarifrunden eine äußerst wirksame Durchschlagskraft. Nötig wäre sie ja. Doch dann kam der Satz, der mich stutzig werden ließ: "Die Kaufkraft entwickelt sich in Deutschland seit Jahren kontinuierlich nach oben."

Hoppla, hatte ich nicht immer das genaue Gegenteil gelesen? Ich forschte nach, was die GfK genau unter "Kaufkraft" versteht. Und ich wurde fündig. "Sie [die Kaufkraft] bezeichnet das verfügbare Einkommen nach Steuern und Sozialabgaben inklusive staatlicher Leistungen und wird pro Kopf und Jahr in Euro und in Form eines Index (deutscher Durchschnitt = 100) ausgewiesen. Basis der jährlichen Berechnung sind, neben der Lohn- und Einkommenssteuerstatistik, einschlägige Statistiken zur Berechnung der staatlichen Leistungen sowie Prognosewerte der Wirtschaftsinstitute."

Folgende Statistiken fließen in die Berechnung der Kaufkraft ein:
  • Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (inkl. Tourismus)
  • Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit
  • Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (inkl. eventueller Förderungen)
  • Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
  • Einkünfte aus Kapitalvermögen
  • Einkünfte aus Transferzahlungen (z.B. Arbeitslosengeld, Renten, Kindergeld, Wohngeld, Erziehungsgeld, Altersteilzeitgeld)
Im Allgemeinen verstehen die Menschen unter Kaufkraft das Einkommen der Arbeitnehmer (der abhängig Beschäftigten), die GfK versteht darunter offenbar etwas anderes. Okay, alles eine Definitionsfrage, aber das muss man eben wissen. Aufgrund der divergierenden Datenbasis kommen nämlich unterschiedliche Ergebnisse heraus. Ob "Prognosewerte der Wirtschaftsforschungsinstitute" in eine Kaufkraftstudie einfließen sollen, ist angesichts der häufigen Fehlprognosen der Institute bedenklich. "Vorhersagen sind außerordentlich schwer, vor allem solche über die Zukunft", das wusste schon Niels Bohr (1885-1962, dänischer Physiker).

Zu den Einzelheiten.

Zumindest nach Angaben des statistischen Bundesamtes hat sich das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte in den letzten Jahren nicht erhöht, daher ist der Verlauf der privaten Konsumausgaben ebenfalls enttäuschend.


[Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistisches Taschenbuch 2007, Arbeits- und Sozialstatistik, Tabelle 1.17]

[Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistisches Taschenbuch 2007, Arbeits- und Sozialstatistik, Tabelle 1.18]

[Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistisches Taschenbuch 2007, Arbeits- und Sozialstatistik, Tabelle 6.1]

Bezieht man die Inflationsrate mit ein, sind die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte zuletzt tendenziell gleich geblieben (ebenso die Konsumausgaben). Ein eklatanter Widerspruch zu der Aussage der GfK, die von einer seit Jahren kontinuierlichen Entwicklung nach oben spricht. Beschränkt man die Definition von Kaufkraft lediglich auf die Einkommen der abhängig Beschäftigten, ist sie sogar seit Jahren rückläufig.


[Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistisches Taschenbuch 2007, Arbeits- und Sozialstatistik, Tabelle 1.14, Bruttolohn- und -gehaltsumme abzüglich Lohnsteuer und tatsächliche Sozialbeiträge der Arbeitnehmer ohne Berücksichtigung der Steigerung der Verbraucherpreise]

Die Deutschen sparen zu viel, wird ferner geklagt, dies sei schuld an der mangelnden Kauflaune. Tatsächlich bewegt sich die Sparquote auf einem konstant hohen Niveau.

[Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistisches Taschenbuch 2007, Arbeits- und Sozialstatistik, Tabelle 1.18]

Sinkt die Sparquote, könnten die Konsumausgaben steigen. Doch bei alledem ist stets zu berücksichtigen, wer überhaupt sparen kann. Zwischen Sparen und Einkommen existiert schließlich eine Korrelation. Das will heißen: Wer viel verdient, spart auch viel. Wer wenig verdient, hat oftmals nichts zum Sparen übrig.

[Quelle Financial Times Deutschland vom 31.10.2007]


Einkommen Anzahl Steuerpflichtige Anteil in Prozent
0 - unter 20.000 € 11.102.645 38,5 %
20.000 - 50.000 € 12.719.983 44,1 %
50.000 - unter 250.000 € 4.902.993 17,0 %
250.000 - unter 500.000 € 84.177 0,29 %
500.000 - unter 1 Mio. € 24.042 0,08 %
1 Mio. € und mehr 12.386 0,04 %
Statistisches Bundesamt, Stand 2001, neuere Daten liegen nicht vor
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 08.11.2005

Die sogenannten Besserverdienenden sparen, wie man sieht, vergleichsweise viel. Die Geringverdiener leben demgegenüber meist von der Substanz und verschulden sich. Logisch, bei den Besserverdienenden ist der Anteil der lebensnotwendigen Ausgaben relativ klein, bei den Geringverdienern ist dieser Anteil dagegen recht hoch. Das bedeutet, wenn man die Konsumausgaben der privaten Haushalte wirklich steigern möchte, muss man hauptsächlich die unteren und mittleren Einkommen entlasten. Die Entlastung der Besserverdienenden erhöht höchstens deren Sparquote, die Entlastung der Geringverdiener erhöht im Unterschied dazu in erster Linie deren Konsumquote. Doch hierzulande geschieht genau das Falsche (Entlastung der Besserverdienenden).

Zusammenfassend ist zu sagen: Die optimistische Prognose des Meinungsforschungsinstituts GfK für 2007 wird wohl kaum die Realität widerspiegeln. Zwar ist in der Tat mit einem weiteren Anwachsen des Einkommens respektive Vermögens der Begüterten zu rechnen, im Gegensatz dazu wird die reale Kaufkraft der Arbeitnehmer im nächsten Jahr aber bestenfalls leicht steigen. Vom starken Wachstum des Vermögens und den daraus resultierenden Einkünften profitieren sie nur zu einem kleineren Teil. Der m.E. zu weit gefasste GfK-Kaufkraftbegriff verschleiert somit den Blick aufs Wesentliche. Um den Konsum wirklich anzukurbeln, bräuchten die Arbeitnehmerhaushalte mehr Geld in der Tasche. Die Steigerung der Vermögenseinkünfte, hauptsächlich in der Hand der ohnehin Vermögenden, geht nämlich am Markt weitgehend vorbei und kurbelt höchstens das Kapitalanlagegeschäft an. Steigende Arbeitnehmereinkünfte würden hingegen den Konsum spürbar erhöhen. Mit realistischeren (im vorliegenden Fall differenzierteren) Prognosen kämen wir vielleicht auch zu besseren politischen Ergebnissen.