Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



05. März 2008, von Michael Schöfer
Aufschwung auf tönernen Füßen


Mit 2,5 Mrd. Euro sollen bei einer Steuerreform zum 01.01.2009 primär die Bezieher von kleinsten, kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden. Grund: "Die stark sinkende Lohnquote, also der schrumpfende Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Gesamteinkommen. (...) Konkret ist die heimische Lohnquote zwischen 1980 und 2006 um elf Prozent gesunken (EU-weit nur fünf Prozent). Hintergrund ist der überproportionale Anstieg der Vermögens- und Unternehmenseinkommen. Und bei den Einkommenssteigerungen zeigt sich, dass das oberste Einkommensfünftel von 2000 bis 2006 brutto um satte 16 Prozent zulegte, während die Einkommen im untersten Fünftel nur um fünf Prozent zulegten."

Stark sinkende Lohnquote? Überproportionaler Anstieg der Vermögens- und Unternehmenseinkommen sowie der Einkommen der Besserverdienenden? Und die Politik reagiert darauf mit der gezielten Entlastung der Geringverdiener? Die Probleme sind uns nur allzu bekannt, allerdings handelt es sich hier nicht um eine Meldung aus Deutschland, sondern aus unserem Nachbarland Österreich. [1] Dass die deutsche Regierung ähnlich zu handeln beabsichtigt, ist leider nicht zu erwarten. Im Gegenteil, der arbeitnehmerfeindliche Kurs wird fortgesetzt. Wie in den zurückliegenden Jahren.

Die effektive Steuerbelastung der Spitzenverdiener ist nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in den Jahren 1992 bis 2002 um zehn Prozentpunkte gesunken. Für den Durchschnittsbürger ist sie dagegen unverändert geblieben. Noch verheerender ist die Entwicklung bei den Löhnen, deshalb verschärft sich die Situation hierzulande permanent. "Seit 2000 sind fast fünf Millionen Deutsche aus der Mittelschicht in die Randzonen der Gesellschaft abgewandert. Vor allem die Zahl der Niedrigverdiener stieg. Während vor sieben Jahren noch 62,3 Prozent der Bevölkerung über ein mittleres Einkommen verfügten, ging der Anteil bis 2006 auf 54,1 Prozent zurück. (...) Der Prozentsatz der Niedrigverdiener habe sich seit 2000 von 18,9 auf mehr als 25,4 Prozent erhöht. Gleichzeitig stieg der Anteil der Spitzenverdiener laut der Erhebung von 18,8 auf 20,5 Prozent." [2] Lohnspreizung nennt man das euphemistisch. Aber gerade von daher droht dem Aufschwung Gefahr.

"Im Unterschied zu früheren konjunkturellen Boomphasen sind die Einkommen der privaten Haushalte im jüngsten Aufschwung kaum gestiegen", stellt das Institut für Makroökonomie (IMK) in seinem jüngsten Bericht fest. "Die konjunkturelle Dynamik rührt fast ausschließlich vom Export (+ 31 %) her, während die reale Inlandsnachfrage nur wenig zunahm (+ 4 %)." Grund: Sinkende Realeinkommen trotz Booms. "Die Ergebnisse zeigen, dass in diesem Aufschwung die realen Nettolohneinkommen aller Beschäftigten zusammen sogar leicht zurück gingen (-1,5 %). Im vorherigen Aufschwung hatten die Beschäftigten dagegen noch einen realen Zuwachs von gut 8 % für sich verbuchen können. Noch gravierender waren allerdings die Auswirkungen bei den Transferempfängern. Die realen Transfers an die privaten Haushalte sind in diesem Aufschwung um fast 6 % zurückgegangen. Im vorigen Aufschwung waren sie noch um knapp 4 % gestiegen. Dahinter verbergen sich die Nullrunden bei den nominalen Renten, stagnierende nominale Leistungen bei Kindergeld, BAföG und anderen staatlichen Leistungen. Nur zu einem geringen Teil hat auch die niedrigere Arbeitslosenzahl dazu beigetragen. Außerordentlich gut verlief dagegen die Entwicklung der realen verteilten Gewinne und Vermögenseinkommen." Wir leben in einem "Wachstum ohne Einkommenszuwachs", folgert das IMK. [3]


[Quelle: IMK]


Wie man am Beispiel Österreich sieht, sind die Probleme fast überall gleich. Dennoch zeigen sich die Regierungen außerstande, in einer konzertierten Aktion dagegen vorzugehen. Lieber lassen sie sich gegeneinander ausspielen, wie etwa die schwache Reaktion auf die Steuerhinterziehung unter tatkräftiger Beihilfe der sogenannten Steueroasen belegt. Der Einfluss der Lobbyisten, die Verquickung von Politik und Wirtschaft, ist offenbar riesengroß. Robert Reich, Professor an der University of California und von 1993 bis 1997 Arbeitsminister unter Bill Clinton, konstatiert: "Nie zuvor war die Wirtschaft so mächtig wie heute. Sie dominiert alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens, auch die Politik. (...) Früher gab es einfach nur Kapitalismus. Heute gibt es den Superkapitalismus. Unter dem Druck der globalen Konkurrenz und der Finanzmärkte haben die einzelnen Unternehmen an Macht verloren, hat die Wirtschaft insgesamt an Dynamik und Stärke gewonnen. Sie expandiert und nutzt alle Mittel, bemächtigt sich der Politik und gefährdet so die Demokratie." [4]

Die EU-Kommission hat ihre Wachstumsprognose für die Bundesrepublik kürzlich um einen halben Punkt auf 1,6 Prozent reduziert, die Bundesregierung rechnet noch mit 1,7 Prozent. Die Dynamik des Aufschwungs nimmt also ab. Warum eigentlich? Hat man uns nicht die ganze Zeit suggeriert, für den Aufschwung des Jahres 2007 (das Bruttoinlandsprodukt stieg real um 2,5 Prozent) seien insbesondere die Arbeitsmarktreformen (z.B. Hartz IV) verantwortlich? An Letzteren hat sich aber praktisch nichts geändert. Die Wachstumsdynamik lässt trotzdem deutlich nach, als Ursache werden die mittlerweile aufgetretenen außenwirtschaftlichen Turbulenzen genannt (Subprime-Krise, Dollar-Verfall, steigende Rohstoffpreise). Im Umkehrschluss bedeutet das freilich, dass der vorherige Aufschwung ebenfalls hauptsächlich auf externe Gründe zurückzuführen war - die unbestreitbaren Exporterfolge. Hartz IV als angebliche Stimulanz für den Aufschwung ist von jeher nicht mehr als ein Ammenmärchen gewesen. Mit anderen Worten: Die Arbeitsmarktreformen waren überflüssig. Sie sind jedoch für den verheerenden Trend zu Niedriglöhnen verantwortlich, der sich momentan äußerst wachstumshemmend bemerkbar macht. Banale Erkenntnis: Vom Export allein können wir nicht leben.

Die Wirtschaft setzt indes nach wie vor auf die weitere Verschuldung der amerikanischen Konsumenten, die aber ohnehin schon über beide Ohren verschuldet sind. Kurzum, ob die Fortsetzung des exportinduzierten Aufschwungs gelingt, ist zweifelhaft. Der Politik bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als die Realeinkommen der Arbeitnehmer - auf welchem Weg auch immer - zu erhöhen. Andernfalls schlittert man sehenden Auges in den nächsten Abschwung hinein. Solange die öffentlichen Arbeitgeber (Bund und Kommunen) an ihrer Mogelpackung festhalten (5 Prozent auf zwei Jahre plus Arbeitszeiterhöhung = Reallohnverlust), sehe ich schwarz. Denn wenn Politiker schon dort, wo sie als Arbeitgeber einen unmittelbaren Einfluss auf die Lohnfindung haben, abermals Reallohneinbußen anstreben, werden sie für die übrigen Arbeitnehmer kaum andere Ziele anvisieren. Entgegengesetzte verbale Bekundungen hin oder her.

Das ist fatal. Jetzt käme es nämlich darauf an, dass der Binnenmarkt die drohende Flaute beim Export kompensiert. Diese Kompensationsmöglichkeit fällt allerdings mangels Massenkaufkraft aus. Das Risiko, in der kommenden Rezession schlechter dazustehen als in der letzten, ist demzufolge immens. Unsere Position ist schwächer, als sie zur Zeit erscheint. Notwendig wären deshalb ein gerechteres Steuersystem, die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und kräftige Reallohnzuwächse der Arbeitnehmer. Außerdem sollten die Arbeitsmarktreformen zurückgenommen und das Rentensystem auf eine andere Beitragsbasis umgestellt werden. Anders ist der Krise langfristig gar nicht beizukommen. Die sozialen Verwerfungen werden derzeit von den propagandistischen Jubelarien überdeckt. Doch das dicke Ende kommt bestimmt.

----------

[1] Kurier vom 04.03.2008
[2] Focus vom 04.03.2008
[3] IMK-Report, Nr. 27 vom März 2008, PDF-Datei mit 394 kb und Böcklerimpuls 4/2008, PDF-Datei mit 78 kb
[4] Libri.de