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21. März 2008, von Michael Schöfer
Liquiditätskrise?


Im Zusammenhang mit der aktuellen Krise des Finanzmarkts hören wir immer wieder, es gebe eine Liquiditätskrise. Das ist falsch. Zwar sind etliche Banken (SachsenLB, IKB, Bear Stearns etc.) in der Tat in eine veritable Liquiditätskrise geschlittert, doch liegt der Krise ursprünglich das genaue Gegenteil zugrunde: Es gibt zu viel Liquidität im Markt. So ist hierzulande beispielsweise das Geldvermögen der privaten Haushalte von 3.539 Mrd. Euro im Jahr 1999 auf 4.529 Mrd. Euro im Jahr 2006 gestiegen. Eine Billion Euro Zuwachs (!) in acht Jahren. [1] Schätzungen der Dresdner Bank zufolge ist es auch 2007 weiter gewachsen und hat im vorigen Jahr 4.760 Mrd. Euro erreicht. [2] Zu alledem kommen noch die enormen Gewinne der Unternehmen hinzu, viele schwimmen geradezu in Liquidität. "Flüssige Mittel von je einer Billion Dollar schieben die börsennotierten Konzerne dies- und jenseits des Atlantiks vor sich her, schätzen Experten der Schweizer Großbank UBS." [3] Nein, das Problem der Finanzmärkte ist definitiv nicht der Mangel an Geld, eher ein Zuviel davon.


Geldvermögen privater Haushalte (in Mrd. Euro)
1999 3539
2000 3608
2001 3706
2002 3676
2003 3907
2004 4087
2005 4305
2006 4529
2007 4760

Denn das ganze Kapital will natürlich gewinnbringend angelegt sein. Und das obendrein mit möglichst hoher Rendite. Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, äußert neuerdings Zweifel an den Selbstheilungskräften der Marktwirtschaft und hat sich deshalb für staatliche Interventionen ausgesprochen. Sonst erschallt aus dieser Ecke eher das Gegenteil, dort gelten (oder muss man inzwischen sagen: galten?) Regulierungsversuche des Staates im Allgemeinen als verpönt. Ausgerechnet Ackermann, der seinem Institut bekanntlich eine Eigenkapitalrendite von mindestens 25 Prozent vorgab. Aber je höher die Rendite, desto höher das Risiko. Eine ökonomische Binsenweisheit. Auf der krampfhaften Suche nach renditeträchtigen Anlagemöglichkeiten haben die Finanzmarktjongleure Produkte kreiert, die sie offensichtlich weder richtig verstanden noch deren Konsequenzen sie überblickten. Nur so ist überhaupt zu erklären, warum einkommensschwache Haushalte Immobilienkredite erhalten haben, die sie unter normalen Umständen nie bekommen hätten. Jetzt wird der Finanzsektor von dieser Binsenweisheit, die er allzu lange ignoriert hat, schmerzhaft eingeholt. "Expertenschätzungen zufolge droht bis zu zwei Millionen Hauskäufern in den USA die Zwangsvollstreckung. Allein im dritten Quartal 2007 wurde gegen eine halbe Million Hauskäufer ein derartiges Verfahren eröffnet." [4]

"Alle - von den US-Investmentbanken bis hin zu biederen deutschen Industrie- und Handelsbanken und sogar den Landesbanken - haben sich an dem hochriskanten Spiel mit Kreditderivaten beteiligt, der Umfang des globalen Handels mit 'strukturierten Finanzprodukten' erhöhte sich seit 2001 etwa um das Dreißigfache. Kaum eine Bank, die nicht mit speziell gegründeten Hedgefonds oder sonstigen 'Zweckgesellschaften' mitspekuliert hat. Und hypothekenbesicherte Anleihen waren und sind eben nur eine Art von Derivaten, hinter denen faule Kredite lauern." [5] Die Ackermänner sind folglich nicht Teil der Lösung, sie sind vielmehr Teil des Problems.

Doch der eigentliche Fehler liegt im neoliberalen System. Hätten etwa die Unternehmen ihre Gewinne, wie früher üblich, nicht in riskante Finanzprodukte, sondern in Produktionsanlagen investiert, wäre von vornherein viel überschüssige Liquidität aus dem Markt genommen worden bzw. hätte ihn erst gar nicht erreicht. Was den Firmen dazu allerdings fehlte, waren kaufkräftige Konsumenten. Die Kehrseite der "Lohnzurückhaltung" (Kostenreduzierung) ist nun mal schwindende Kaufkraft. Und angesichts schwindender Massenkaufkraft ist es - betriebswirtschaftlich betrachtet - wenig ratsam, kräftig zu investieren. Daher gehen die Investitionen seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Schuld an den sinkenden Realeinkommen der Arbeitnehmer sind wiederum die Unternehmen selbst, die im Verbund mit der Politik ständig über die Nachteile des Standorts Deutschland klagten. Heute ernten sie bloß das, was von ihnen in den letzten dreißig Jahren gesät wurde. Gut verdienende Arbeitnehmer wären hingegen kaufkräftige Konsumenten und zuverlässig zahlende Immobilienbesitzer. Solange der Trend jedoch in Richtung Niedriglohnsektor geht, wird sich an der beklagenswerten Situation nicht allzu viel ändern.

Der Finanzmarkt ist nur mit der grundlegenden Abkehr vom Neoliberalismus zu stabilisieren. Passiert das nicht, werden die Krisen von mal zu mal größer und die daraus resultierenden Folgen gravierender. Wer garantiert uns, das "schwarze Freitage" und eine ihnen nachfolgende, lang anhaltende Weltwirtschaftskrise für immer ausgeschlossen sind? Die Finanzmarktjongleure am allerwenigsten.


[Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Jahreswirtschaftsbericht 2007, Seite 17, PDF-Datei mit 1,4 MB]

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[1] Bundesverband deutscher Banken, Zeitreihe Geldvermögen, PDF-Datei mit 49 kb
[2] forium.de vom 04.01.2008
[3] DIE ZEIT 42/2004
[4] Focus vom 06.12.2007
[5] Freitag vom 25.01.2008