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06. März 2009, von Michael Schöfer
Ich bin doch nicht blöd


Vor Jahren erhielt ich einen Anruf - das, was man neudeutsch als "Cold-Call" bezeichnet. Irgendein eloquenter Typ erklärte mir, er hätte ein Bombenangebot für mich. Eins, das ich gar nicht ablehnen könnte. Das Ganze sollte wie folgt ablaufen: Ich vermiete meinen alten Kühlschrank für 99 Jahre an einen amerikanischen Investor und miete ihn postwendend wieder vom Investor zurück. In den USA gelte das steuergesetzlich als Eigentumsübertrag, wofür das US-Finanzamt jede Menge Steuervorteile gewähre, versicherte der Anrufer. Diese Steuervorteile würde der Investor großzügig mit mir teilen.

Beruhigend: Der Kühlschrank bliebe natürlich in meiner Küche stehen, ich dürfe ihn wie gewohnt benutzen, die Kühlung meiner Milch sei demzufolge gesichert. Ohnehin finde nach deutschem Recht kein Eigentumsübertrag statt, ich könnte mich daher auch künftig als stolzer Kühlschrankbesitzer bezeichnen. Das Einzige was ich tun müsste wäre, kurz mit dem Flieger nach New York jetten und einen 1524 Seiten umfassenden Vertrag unterzeichnen. Der Text sei größtenteils auf Englisch, aber das wäre trotz meiner schlechten Sprachkenntnisse vollkommen unwichtig. Er, so der Anrufer, werde natürlich alles zu meiner vollsten Zufriedenheit für mich erledigen. Für seine Dienste verlange er zwar eine kleine Gebühr, trotzdem hätte die Kühlschrankvermietung für mich riesige finanzielle Vorteile. Der Gerichtsstand für Streitigkeiten sei übrigens New York, aber das mache mir doch bestimmt nichts aus, bemerkte er siegesgewiss.

Ich brauchte keine zwei Sekunden um zu antworten: "Ich bin doch nicht blöd." Kein vernünftiger Kühlschrankbesitzer würde so ein windiges Geschäft abschließen - jedenfalls keiner, der noch alle 5 Sinne beisammen hat. Später war ich dann total perplex, als ich in der Zeitung las, dass etliche Oberbürgermeister und Kämmerer tatsächlich so blöd waren. Nach Schätzungen des Städte- und Gemeindebundes haben zwischen 150 und 250 Städte und kommunale Gesellschaften sogenannte Cross-Border-Leasing-Geschäfte getätigt, städtisches Eigentum im Wert von 40 bis 80 Mrd. Euro wechselte zum Schein den Besitzer. Jetzt, in der tiefsten Wirtschaftskrise seit den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bricht das labile Kartenhaus allmählich zusammen. Nun werden die Cross-Border-Leasing-Geschäfte für die Kommunen unter Umständen richtig teuer - wesentlich teurer als die Erträge aus den inzwischen abgeschafften Steuervorteilen des amerikanischen Finanzamtes. Die vermeintliche Goldgrube Cross-Border-Leasing entpuppt sich als törichtes Vabanquespiel, und zahlreiche Oberbürgermeister und Kämmerer stellen sich im Nachhinein als blauäugig und inkompetent heraus.

Auch meine Heimatstadt hat sich an diesen dubiosen Geschäften beteiligt. "In Mannheim wurden 2003 die Kläranlage und weite Teile des städtischen Abwasserkanalnetzes an die US-Versicherung John Hancock (2004 vom Versicherungsunternehmen Manulife Financial übernommen) vermietet. Der Anlagewert betrug 742 Mio €; die Stadt Mannheim kassierte 21 Mio €, die einfädelnden Finanzdienstleister über 30 Mio €." [1] Angeblich drohen keine Verluste, behauptet die Stadtverwaltung. "Noch", wie sie kleinlaut hinzufügt. [2] Manche sahen die aktuelle Finanzkrise voraus und warnten schon seit langem vor dem schädlichen Einfluss der gierigen Spekulanten. Leider vergeblich. Genauso war es bei den Cross-Border-Leasing-Geschäften: "Der Kreisverband Mannheim von Bündnis 90/ Die Grünen lehnt die Pläne für eine US-Leasing-Transaktion für Klärwerk und Kanalnetz des Eigenbetriebs Stadtentwässerung Mannheim ab", heißt es in einer Resolution der Umweltpartei vom 12.02.2003. [3] Die Gemeinderatsfraktion verhielt sich entsprechend. Aber wir wissen ja wie das läuft, die Mehrheit im Stadtparlament entschied eben anders.

Zum Glück sind am 7. Juni Gemeinderatswahlen, da gehe ich natürlich wählen. Wen ich wähle, will ich nicht verraten. Aber eines ist gewiss: Die, die den Kühlschrank vermietet und zurückgeleast haben, gehen leer aus, denn Dummheit gehört einfach bestraft.

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[1] Wikipedia, Cross-Border-Leasing
[2] Mannheimer Morgen vom 02.10.2008
[3] Bündnis 90/Die Grünen KV Mannheim