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07. März 2011, von Michael Schöfer
Ich kann es nicht mehr hören


Der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte kurz nach seiner Amtseinführung, dass der Islam seiner Meinung nach - historisch betrachtet - nicht zu Deutschland gehöre. Friedrich pocht vielmehr auf unsere Leitkultur, die christlich-jüdische Wurzeln habe. Ich muss gestehen, ich kann ihm zumindest in einem zustimmen: Der Islam gehört tatsächlich nicht zu Deutschland. Aber nicht, weil ich gegen den Islam wäre, sondern weil ich generell gegen jede Religion bin. Und zwar genauso gegen die christlich-jüdische.

Dass sich unsere Demokratie aus der christlich-jüdischen Tradition entwickelt habe, ist eine Legende. Die wird allerdings durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Richtig ist vielmehr genau das Gegenteil: Die Demokratie wurde gegen den hartnäckigen Widerstand der Religion erkämpft, deshalb wurzelt sie keinesfalls im Glauben. Die Kirche hat sich fast über zwei Jahrtausende hinweg stets gegen all das engagiert, was Demokraten wertvoll ist: Einhaltung der Menschenrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Meinungs- und Pressefreiheit, Freiheit der Lehre etc. Mit anderen Worten: Die christlich-jüdische Tradition ist eine autoritäre, die lediglich durch die Aufklärung zurückgedrängt wurde. Eine Verbindungslinie zwischen Christentum und Demokratie zu ziehen, ist ahistorisch. Wirres, dummes Gerede, sonst nichts.

Nach meinem Staatsverständnis ist Religion eine reine Privatangelegenheit. Der säkulare Staat hat sich meines Erachtens aus der Religion völlig herauszuhalten (umgekehrt die Religion ebenso aus den Staatsangelegenheiten). Sie kann, wie jeder andere, zur Meinungsbildung beitragen. Mehr nicht. Zur demokratischen Leitkultur gehört die Einhaltung der säkularen Gesetze, das Bekenntnis zur Demokratie und zum Pluralismus. Religionen, egal welche, gehören hingegen nicht zum Staat. Was jemand glaubt, geht den Staat gar nichts an, wichtig ist allein die Einhaltung der demokratisch zustande gekommenen Rechtsordnung.

Ich kann es nicht mehr hören, und es kotzt mich offen gestanden an: Es geht also nicht um den Antagonismus zwischen Islam und Christentum, sondern um den Antagonismus zwischen Staat und Religion. Damit sind alle Religionen gemeint. Alle in gleichem Ausmaß, versteht sich. In meinen Augen sind Religionen nämlich per se undemokratisch, weil sie auf einer nicht zu hinterfragenden Offenbarung beruhen. Nur der säkulare Staat hat uns überhaupt erst die Möglichkeit verschafft, als Individuen Religionen hinterfragen und ggf. auch ablehnen zu dürfen. Die Diskussion, welche Religion weniger böse ist, führt folglich bloß in die Irre.

Von daher ist die Debatte um Friedrichs Äußerung einfach nur als grotesk zu bezeichnen.