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21. Juni 2011, von Michael Schöfer
Lust auf Untergang?

Sorry, ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler. Aber deshalb fällt mir auch kein Zacken aus der Krone, wenn ich mich mal irre. Seit Wochen versuche ich, die Euro-Krise im Allgemeinen und die prekäre Lage Griechenlands im Besonderen gedanklich zu sortieren. Zu lesen gab es dazu ja reichlich.

Okay, wenn ich es richtig kapiert habe, können wir die Griechen nicht pleitegehen lassen, weil das a) unabsehbare Folgen für den ohnehin angeschlagenen Finanzsektor haben könnte und b) das Ansteckungsrisiko für Spanien oder Italien gewaltig erhöhen würde. Und Letztere wären in diesem Fall selbst mit einem Superrettungsschirm nicht mehr aus dem Schlamassel rauszupauken, heißt es. Denn der wäre unbezahlbar, sogar für die reichen Deutschen. Das griechische Volk scheint übrigens bei solchen Überlegungen kaum eine Rolle zu spielen, das Mitleid mit den arg gebeutelten Hellenen hält sich in engen Grenzen. Griechenland retten heißt die deutsche Exportindustrie retten, lautet vielmehr die Parole. Ein Kollaps des Euro würde die riesigen Außenhandelsüberschüsse Deutschlands gefährden. Darum geht es letztlich.

Wir können den Griechen aber auch nicht ohne weiteres noch mehr Geld in den Rachen werfen, sagen viele. Es gibt in den wohlhabenderen EU-Ländern gegen diese Lösung große politische Widerstände. Deswegen drängt man der Athener Regierung ein Sparprogramm auf, für das man hierzulande Angela Merkel längst in Sack und Asche nach Templin zurückgeschickt hätte. Der rigorose Sparkurs zeigt aber a) nicht die gewünschte Wirkung (das griechische Inlandsprodukt sinkt dramatisch) und ist b) eine Gefahr für das Überleben von Ministerpräsident Papandreou. Die konservative Opposition dürfte aber noch viel schlimmer sein als die Sozialisten und somit keine echte Alternative darstellen. Schließlich waren das früher die größten Trickser. Außerdem stellt sich die Frage, ob man einem nackten Mann überhaupt noch in die Tasche greifen kann, bei vielen Griechen geht es ja schon heute an die Substanz. Es droht daher womöglich eine Revolte arabischen Ausmaßes. Schallt nicht schon "Wir sind das Volk" über den Syntagma-Platz? Nein? Dann muss ich mich wohl verhört haben.

Wie dem auch sei, die privaten Besitzer griechischer Anleihen darf man jedenfalls an der Sanierung Griechenlands in keinster Weise beteiligen, signalisiert zumindest der erhobene Zeigefinger der Ratingagenturen. Nicht einmal "freiwillig gezwungen". Bekanntlich haben zwar Standard & Poor's, Moody's und Fitch in der Finanzkrise total versagt, Ramschpapiere erhielten problemlos Bestnoten (Triple A), ungeachtet dessen dürfen sie weiterhin über das Wohl und Wehe ganzer Staaten entscheiden. Ganz so, als habe sich 2007/2008 nichts Wesentliches ereignet. Deshalb hängt das Damoklesschwert "Default" (zahlungsunfähig) drohend über jedem Umschuldungsversuch. Die Banken, die eigentlichen Verursacher der Finanzkrise, sind dadurch fein raus. Die Kosten bleiben folglich abermals am Steuerzahler kleben, mag der auch noch so maulen. Semper idem!

Habe ich etwas vergessen? Ach ja, eine einheitliche Wirtschaftspolitik, ein europäisches Finanzministerium, zinsgünstige Euro-Bonds (gemeinsame Anleihen aller EU-Staaten) und die partielle Aufgabe nationaler Souveränität zugunsten eines mächtigeren EU-Parlaments scheiden aus politischen Gründen von vornherein aus. Zwar wollen alle an den Fleischtöpfe teilhaben, aber das Mahl soll wie gehabt in 27 unterschiedlichen Küchen zubereitet werden. Früher hatten Politiker wenigstens noch Visionen.

Fassen wir zusammen: Pleitegehen lassen geht nicht. Einfach Geld überweisen geht nicht. Die privaten Gläubiger an einer Umschuldung beteiligen geht nicht. Änderung der EU-Struktur geht ebenfalls nicht. Ein wahrer Teufelskreis. Was geht denn überhaupt? Man könnte behaupten: Die Europäer haben Lust am Untergang. Angesagt ist lediglich Durchwursteln getreu dem Beckenbauer-Prinzip ("Schau'n mer 'mal"). Dazu passt die Zeitungsanzeige von 50 deutschen und französischen Top-Managern wie die Faust aufs Auge, die haben nämlich diese Woche eindringlich "vor einem Scheitern des Euro gewarnt und weitere Finanzhilfen für hoch verschuldete Länder gefordert". [1] "Der Euro ist notwendig", mahnen sie. Helfen soll jedoch wie gewohnt nur der Steuerzahler. Ein eigener Beitrag der von ihnen geführten Unternehmen? Fehlanzeige! Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Das ist nicht nur peinlich, das ist perfide.

Manchmal beschleicht auch mich diese diffuse Lust am Untergang. Lasst doch das Ganze endlich mit Karacho implodieren, denke ich manchmal. Liefert doch Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Belgien, Irland und wenn sonst noch einfach der Zahlungsunfähigkeit aus. Lasst doch Banken, Versicherungen und das produzierende Gewerbe kollabieren. Ihr werdet dann schon sehen, was ihr davon habt. Aber das ist unvernünftig und unverantwortlich. Bauchgefühl eben, mein Verstand rebelliert heftig gegen derartige Emotionen. Damit wäre niemand geholfen. Aber genau auf dieser Linie sehe ich momentan die Politik. Das ist ja das Schlimme. Mal abwarten, wie Vertrauensfrage von Ministerpräsident Papandreou ausgeht. Vielleicht sind wir schon in ein paar Stunden schlauer.

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[1] Reuters vom 21.06.2011